Eine Frau mit Geheimnis
denn er wollte – aus unerfindlichen Gründen – nicht den Eindruck erwecken, er hätte das Rennen beobachtet.
Fünf Minuten später verneigte er sich vor dem Zaren, dann lenkte er Caesar zwischen Major Zass und Alexandrow, der ihn triumphierend musterte. „Sie haben sich verspätet, Calder!“
„Ja“, gab Dominic zu, „tut mir leid. Ist das nicht ein herrlicher Morgen? Was halten Sie von unserem Park, Major?“
Wie es die Höflichkeit gebot, antwortete Zass mit freundlichen Komplimenten.
Die Wangen immer noch vom Galopp gerötet, stimmte Alexandrow zu. „Gewiss, ein wunderschöner Park, Calder.
Aber in Russland haben wir viele solcher Gartenanlagen.“
„Oh, zweifellos.“ Dominic hob die Brauen. „Allerdings ist Ihr Land ein bisschen größer als unseres.“
Zass brach in Gelächter aus, ebenso wie Alexandrow, was ihm hoch anzurechnen war. „Touché, Sir. In Zukunft werde ich Sie nicht mehr herausfordern.“
„Welch ein weiser Entschluss!“, meinte der Major lächelnd. „Ein junger Offizier sollte sich in Acht nehmen, wenn er mit einem älteren Mann diskutiert – insbesondere mit einem Duke.“
„Nein, nein“, erwiderte Dominic hastig, denn Alexandrow durfte sich nicht einschüchtern lassen. „Hier sind wir alle gleichberechtigt. Alexej Iwanowitsch kann mich nach Herzenslust hänseln. Darin ist er bereits geübt, weil ich leichtsinnig genug war, ihn mit meinen Brüdern bekannt zu machen. Bei dieser Begegnung hat er gelernt, wie man ältere Leute verspottet.“
Alexandrow warf ihm einen strahlenden Blick zu und sagte in leisem, eindringlichem Ton, der anscheinend nur für seine Ohren bestimmt war: „Danke, Calder, Sie sind äußerst großzügig.“
Über seinen Rücken rann ein eigenartiger Schauer. Für wenige Sekunden glaubte er in den brennenden Stall zurückzukehren. Was um alles in der Welt war denn los mit ihm? Jenes Erlebnis verfolgte ihn immer noch.
Etwas lauter fuhr Alexandrow fort: „Ich nehme an, Sie sind sehr glücklich in Ihrer Familie, Duke. Sicher ist es wundervoll, wenn Brüder auch Freunde sind.“
Inzwischen hatte Dominic seine Selbstkontrolle zurückgewonnen. „Wenn Sie meine Brüder besser kennen, Alexej Iwanowitsch, werden Sie die beiden nicht mehr für meine Freunde halten.“ Seufzend schnitt er eine Grimasse. „Eher für meine Quälgeister oder Sargnägel.“
Die anderen lachten, und seine innere Anspannung verflog endgültig. Seine Fantasie musste ihm wieder einen Streich gespielt haben – wegen der bemerkenswerten Stimme dieses Jungen. Mehr steckte nicht dahinter, und er musste diese beunruhigenden Gefühle verdrängen.
Eine Viertelstunde lang ritten sie dahin, und er konzentrierte sich auf die Informationen, die er zu sammeln hoffte. Im Konversationston fragte er Zass nach den Vorlieben und Abneigungen des Zaren, nach dessen Plänen während des Aufenthalts in England. Etwas vorsichtiger erkundigte er sich nach dem preußischen König. Aber der Major verriet ihm keine nützlichen Einzelheiten. Letzten Endes gab Dominic seine Bemühungen auf, sonst hätte seine Neugier den Argwohn des Hauptadjutanten erregt. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Aufmerksamkeit wieder auf Alexandrow zu richten. „Offensichtlich verstehen Sie sich sehr gut mit Ihrem Pferd, Alexej Iwanowitsch. Haben Sie es schon einmal geritten?“
„Nein, es stammt aus den königlichen Stallungen und wurde mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt.“
„So wie alle unsere Pferde, Sir“, ergänzte Zass. Dann zeigte er mit seiner Peitsche auf den Zaren, der mit zwei jungen Offizieren vorausritt und ein Tor des Parks ansteuerte. „Ah, Seine Majestät beendet den Ausflug. Für den restlichen Tag haben Sie frei, Alexandrow.“ Grinsend fügte er hinzu: „Aber einige von uns müssen diverse Pflichten erfüllen.“ Mit diesen Worten spornte er seinen Hengst an und holte den Monarchen ein.
Alexandrow folgte ihm und winkte Dominic zu. „Leben Sie wohl, Calder! Genießen Sie Ihren Morgenritt! Nächstes Mal werde ich den Diener etwas früher zu Ihnen schicken – damit Sie sich nicht mehr verspäten.“
„Unverschämter junger Spund!“, rief Dominic. Doch er konnte seinen Lachreiz nicht bezähmen.
Einige Tage verstrichen ohne eine Änderung der Routine – und ohne nennenswerte Fortschritte. Jeden Morgen begleitete Dominic den Zaren, wenn dieser durch den Park ritt oder mit seiner Schwester spazieren ging.
Dabei schloss Alexandrow sich stets an, Major Zass nur selten.
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