Eine Frau mit Geheimnis
Bange, mein Freund.“ Dominic klopfte ihm auf den Rücken. „So etwas wird man Ihrem Zaren nicht antun, während er sich in England befindet. Außerdem ist ganz London fest entschlossen, ihm Beifall zu spenden. Gibt es eine bessere Galionsfigur als Ihren jungen, virilen Herrscher?“
Sonderbarerweise wurde Alexandrow schon wieder rot. „Unsere geliebte Kaiserliche Majestät ist ein großartiger Mensch.“
Sie erreichten den Eingang des Pulteney Hotels. Allmählich löste sich die Menschenmenge auf. So spät in der Nacht war kaum zu erwarten, dass sich der Zar noch einmal auf dem Balkon zeigen würde. Trotzdem würden mehrere hartnäckige Schaulustige bis zum Morgengrauen vor dem Gebäude ausharren. Darauf wies Dominic den Adjutanten hin, während sie die Halle durchquerten. „Wahrscheinlich werden Ihr ‚Väterchen‘ und sein Gefolge kein Auge zutun.“
„Oh, der Zar braucht nicht viel Schlaf“, erklärte Alexandrow voller Stolz. „Er besitzt enorme innere Kräfte. Das werden Sie in den nächsten Tagen feststellen.“
„Wenn Sie mit ihm Schritt halten können, müsste ich das ebenfalls schaffen. So alt bin ich nun auch wieder nicht“, fügte Dominic herausfordernd hinzu und erwartete eine scherzhafte Antwort.
Stattdessen errötete der Russe wieder einmal wie ein Schuljunge. „Das wollte ich gewiss nicht andeuten, Sir. Übrigens müssen wir Adjutanten Seine Majestät nicht auf Schritt und Tritt begleiten. Man hat uns spezielle Pflichten zugeteilt. Zum Beispiel werde ich den Zaren eskortieren, wenn er ausreitet. Aber auf Bällen und ähnlichen Veranstaltungen ist meine Anwesenheit nicht erforderlich.“
„Seien Sie froh, diese Bälle sind schrecklich langweilig.“
„Da bin ich anderer Ansicht, obwohl ich nur selten an solchen Festen teilnahm.“
„Oh? Und wie würden Sie die Bälle beschreiben?“
Wenn Dominic die Miene des Russen richtig deutete, wäre „schrecklich“ das passende Wort. Sehr merkwürdig … Man sollte doch meinen, ein junger Mann würde die Gesellschaft hübscher junger Damen genießen.
„Bedauerlicherweise kann ich nicht tanzen, Sir. Als Mütterchen Russland ums Überleben kämpfte, wäre es ehrlos gewesen, hätte sich ein Soldat solche frivolen Fähigkeiten angeeignet. Stattdessen lernte ich mit meinem Säbel umzugehen.“ In diesen letzten Worten schwang unverhohlener Stolz mit, und Dominic enthielt sich wohlweislich eines Kommentars.
„Wird auch Major Zass mit Ihnen reiten?“, fragte er. Ein Morgenritt durch den Park würde ihm eine gute Gelegenheit bieten, sich dem Hauptadjutanten informell und freundschaftlich zu nähern. Vielleicht würden dem Mann einige Informationen herausrutschen.
„Vielleicht, wenn er nichts anderes erledigen muss. Seine Majestät besteht darauf, dass wir alle regelmäßig reiten, weil das sehr wichtig für unsere Gesundheit ist.“
„Da hat der Zar völlig recht. Wie erfahre ich, ob und wann er morgens ausreiten möchte? Entscheidet er das schon am Vorabend?“
„Leider nicht.“
„Ah … Dann muss ich jeden Morgen einen Dienstboten zu ihm schicken und herausfinden, was Seine Majestät plant. Darf ich dem Mann auftragen, Sie danach zu fragen?“
„Natürlich“, erwiderte Alexandrow lächelnd. „Meistens stehe ich schon bei Tagesanbruch auf.
Dominic stöhnte dramatisch. „Wenn Sie bis vier Uhr nachts tanzen, würden Sie das gewiss nicht tun.“
„Vermutlich nicht. Aber Seine Majestät ist ein Frühaufsteher.“
„Ich werde anscheinend alt“, meinte Dominic voller Wehmut. „Jetzt will ich Sie nicht länger von Ihren Pflichten abhalten, Alexej Iwanowitsch. Morgen wird sich mein Diener um Sie kümmern. Wäre sechs Uhr zeitig genug?“
„Nun …“ Der Russe legte den Kopf schief. „Normalerweise steht Seine Majestät vor sieben auf. Würde Ihnen ein Tagesbeginn um sechs genügen, um sich entsprechend vorzubereiten, Calder?“ Sein Blick glitt über Dominics untadelige Abendkleidung. „Wie ich gehört habe, brauchen die Londoner Gentlemen stundenlang, um sich anzuziehen. Allein schon der richtige Knoten des Krawattentuchs …“
„Für Beau Brummell mag das gelten.“ Dominics Mundwinkel zuckten. „Für mich nicht. Wenn mein Diener mir um halb sieben Bescheid gibt, bin ich um sieben im Park.“
Alexandrow grinste boshaft. „Vorausgesetzt, Sie haben nicht bis um fünf Uhr morgens getanzt. Wie ich annehme, gehen Sie jetzt nicht mehr auf einen Ball?“
„Allerdings nicht – ich muss noch einige Besuche machen und
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