Eine Frau mit Geheimnis
Kostüm nicht ablegen kannst, solltest du dir ein erfrischendes Getränk gönnen.“
„Was? Ach ja, gute Idee. Willst du auch …?“
„Nein, Leo!“
„Nein, offenbar nicht.“ Statt noch eine Verbeugung zu versuchen, nickte er nur. Dann verließ er das Zimmer so schnell wie möglich.
Nur mühsam bezwang Alex ihren Lachreiz. „Sir, das war gar nicht nett von Ihnen“, mahnte sie und klopfte mit ihrem Fächer auf Calders Arm. „Ihr Gefährte, dieser arme Mann, wollte sich ein bisschen erholen. Und jetzt haben Sie ihn wieder in die Hitze geschickt. Womöglich wird er in Ohnmacht fallen.“
„Wohl kaum. Dieser arme Mann, Madam, ist mein Bruder. Da er so halsstarrig war, ein Kostüm zu tragen, vor dem ich ihn gewarnt hatte, bedaure ich ihn nicht. Soll er die Suppe doch auslöffeln, die er sich eingebrockt hat … Außerdem braucht er wirklich einen Drink.“
„Und er würde auch Ihnen ein Getränk bringen, hätten sie Ihn nicht so unfreundlich behandelt.“
„Viel lieber trinke ich die Schönheit Ihrer Augen, Madam.“
Nein, das musste ein Traum sein! Der Duke of Calder war ein vernünftiger Mann. Niemals würde er so etwas zu einer Frau sagen, die er eben erst kennengelernt hatte. Oder er hatte zu viel Champagner getrunken.
Bewundernd schaute er sie an, mit großen dunklen Augen. Noch nie hatte ein Mann sie so angesehen. Und sie wusste, was es bedeutete.
Bei ihrem Anblick hämmerte Dominics Herz wie rasend gegen die Rippen. Die junge Frau aus dem brennenden Stall! Endlich hatte er sie gefunden! Nein, ein Irrtum war ausgeschlossen – das schmale bleiche Gesicht, von silbergrauen Locken umrahmt … Wie wirbelnde Rauchwolken …
Und dann hatte sie englisch gesprochen. Da war ihm sein Irrtum bewusst geworden. Wieder einmal hatte seine Fantasie ihm einen Streich gespielt, von weißer Schminke und einer grauen Perücke angeregt.
Aber diese Frau, die ohne ihre Maske auf dem Sofa saß, die Augen geschlossen, als wollte sie der Welt entfliehen, sah bezaubernd aus. So unschuldig, so verletzlich … Plötzlich empfand er den seltsamen Wunsch, sie hochzuheben und davonzutragen. Zu beschützen. Warum? Sie brauchte keinen Beschützer, denn sie war nicht schwach. Das erkannte er augenblicklich. Trotz der zierlichen Gestalt spürte er ihre innere Kraft.
Hätte sie bloß die Maske nicht aufgesetzt … Die verdeckte einen Teil ihrer Augen – leuchtende große Augen, in denen ein Mann ertrinken wollte … Und sie war wunderschön. Warum wusste er das? Ihr Gesicht war geschminkt, und sie trug eine Perücke, so wie es zu ihrem altmodischen Kostüm gehörte.
War sie gar nicht so schön, wie er es vermutete? Doch. Die Verkleidung konnte ihren Zauber nicht beeinträchtigen. Und die Stimme, leise und melodisch, mit sanftem schottischem Akzent … Eine solche Stimme erregte die Sinne eines Mannes.
Zu seiner Verblüffung hörte er sich ein extravagantes Kompliment aussprechen, das ihren Augen galt. Was in aller Welt geschah mit ihm? So hatte er sich nie zuvor verhalten. Und doch – er wusste, er hatte genau die richtigen Worte gefunden. Jetzt beugte er sich vor, um durch die Schlitze in der Maske zu spähen. Die hätte er am liebsten von ihrem Gesicht gerissen, die verführerische Frau in die Arme genommen. Dieses wahnwitzige Verlangen verstand er nicht. Er war Dominic Aikenhead, den Castlereagh engagiert hatte, weil er den kühlsten Kopf im Königreich besaß. Kühl? Keineswegs! Nicht in der Nähe dieser Frau!
„Sir?“ Ihre Stimme klang immer noch sanft und musikalisch. Aber ein kaum merkliches Zittern schwang darin mit. Jagte er ihr Angst ein? Er rückte ein wenig von ihr weg und zwang sich zur Ruhe. Wenn er sie erschreckte, würde sie die Flucht ergreifen. Und dann würde er womöglich niemals herausfinden, wer sie war. Aber allzu lange konnte er der Versuchung nicht widerstehen, und so ergriff er eine ihrer behandschuhten Hände. Eine schmale Hand. Und stark. Wie die Hände in jenem verdammten Traum, in der Vision, die ihn immer noch verfolgte.
War diese Begegnung sein Schicksal? Diese Frau schien so viele seiner Sehnsüchte und Wünsche zu erfüllen.
Irgendetwas musste er sagen, bevor seine Emotionen ihn verraten würden. „Stammen Sie wirklich aus Schottland? Eine weite Reise, nur um an einem Maskenball teilzunehmen …“
„Entscheiden Sie selbst, wer ich sein könnte, Sir. Aber in einem Punkt will ich Ihre Neugierde befriedigen – ich habe eine sehr weite Reise unternommen, um hierher zu
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