Eine Frau mit Geheimnis
Seine Majestät Ihre Sprachkenntnisse, denn es fällt ihm manchmal etwas schwer, den Akzent der Seeleute zu verstehen.“
Alex schaute den Männern nach. Bisher hatte sie ihre Neigung zur Seekrankheit bezwingen können. Dabei half ihr die frische Brise, die ihr an Deck ins Gesicht wehte. Auf das glatte Holz der Reling gestützt, betrachtete sie das graue Meer und dachte an ihr seltsames Dilemma. Einerseits wollte sie Dominic aus dem Weg gehen, andererseits die Freundschaft nicht gefährden. Nach dem Abschied sollte er Hauptmann Alexandrow in guter Erinnerung behalten.
Jedenfalls würde sie sich stets voller Liebe und Wehmut an den Duke of Calder erinnern …
Die Gedanken an ihn waren unwiderstehlich und ließen sich nicht verdrängen. In der nächsten halben Stunde würde niemand mit ihr sprechen. Deshalb konnte sie für eine kleine Weile in einem süßen Tagtraum versinken. Die Augen geschlossen, beschwor sie die Szenerie des Maskenballs herauf, den Garten, die brennenden Öllampen. Sie glaubte wieder seine Küsse zu spüren, auf ihren Lippen, ihren Brüsten, die heißen Gefühle in ihrem Bauch. So lebhaft war die Fantasie, dass sie am ganzen Körper zu zittern begann.
Bestürzt öffnete sie die Augen. Wenn sie beobachtet wurde …
Beim Anblick der heftigen Wellen wurde ihr schwindlig, ihr Magen drehte sich um. Verzweifelt klammerte sie sich an die Reling und hoffte, sie würde sich nicht übergeben müssen. Nicht hier, vor all den Seeleuten …
„Geht es Ihnen nicht gut, Hauptmann?“, fragte Kapitän Wood.
Weil sie kein Wort hervorbrachte, schüttelte sie nur den Kopf.
„Keine Bange, wir helfen Ihnen.“ Wood rief einen Lieutenant zu sich und befahl ihm, „das Spezialmittel des Duke of Calder“ für den Gast zu beschaffen. Dann wandte er sich wieder an Alex. „Gehen Sie mit mir auf und ab“, schlug er freundlich vor. „Und schauen Sie nicht aufs Meer, sondern zum Horizont.“
Alles war besser, als an der Reling zu stehen – hin und her gerissen zwischen erotischen Erinnerungen an Dominic und der peinlichen Aufruhr in ihrem rebellischen Magen. Und so ging sie an der Seite des Kapitäns über die Decksplanken, passte sich seinen Schritten an und fixierte den Horizont, so wie er es empfohlen hatte.
Erstaunlicherweise fühlte sie sich besser, und es gelang ihr sogar, ein paar anerkennende Worte über das Schiff zu äußern. Damit erfreute sie Wood. In allen Einzelheiten beschrieb er die Vorzüge der Impregnable, und Alex nickte, wann immer sie dachte, es wäre angemessen.
„Ah, da ist Ihre Arznei, Alexandrow.“ Der Kapitän wies zum Niedergang. Einen Becher in der Hand, erschien ein Seemann an Deck.
Gefolgt von der unverkennbaren imposanten Gestalt des Duke of Calder.
Alex zwang sich, ihr Augenmerk nur auf das Getränk zu richten. Mit beiden Händen umfasste sie den heißen Becher, dankbar nippte sie daran und hieß den Dampf in ihrem Gesicht willkommen, den Ingwerduft in ihrer Nase.
„Wie fühlen Sie sich jetzt, Alexej Iwanowitsch?“ Die Stimme des Duke drang in ihr Ohr. Offenbar stand er direkt neben ihr.
„Mmmm …“ Sie nahm noch einen Schluck. „Mit jeder Sekunde besser. Vielen Dank für Ihre Sorge … Werden Sie nicht unter Deck gebraucht? Was tut Seine Majestät?“
„Soeben besichtigt der Zar den Geschützturm. Ich glaube, demnächst wird eine ziemlich lautstarke Demonstration der Feuerkraft stattfinden, über die das Schiff verfügt. Da muss ich nicht dabei sein. Bei diesem Lärm könnte ich mich ohnehin nicht verständlich machen.“
Alex brachte ein schwaches Lächeln zustande und wünschte, er würde sich entfernen, statt sie zu verwirren. Zum Glück musste sie nichts sagen, denn in diesem Moment krachten die Kanonen. Nun kam sie sich wie auf einem Schlachtfeld vor, abgesehen von der Tatsache, dass sie keinen festen Boden unter den Füßen spürte. Als die Breitseite abgefeuert wurde, schien der Rückstoß das ganze Kriegsschiff seitwärts zu schleudern.
„Eindrucksvoll, nicht wahr?“, fragte Dominic voller Stolz, sobald eine Feuerpause eintrat, und Alex nickte.
Jetzt fühlte sie sich fast normal. Der Spaziergang an Deck und die Arznei hatten Wunder gewirkt. Da die Kanonen erneut donnerten, war ein Gespräch unmöglich, und so begann sie wieder umherzuwandern, von Dominic begleitet. Dabei dachte sie über die Royal Navy nach, die alle Meere souverän beherrschte. Nur zu gut verstand sie, warum der Zar die Heirat Princess Charlottes und des Prinzen von Oranien verhindern
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