Eine für vier 01 - Eine für vier
wahrnahm. Sie holte sich Ball um Ball. In ihr war eine seltsame Elastizität, die Fähigkeit, grenzenlos gut und zugleich auch grenzenlos mittelmäßig zu sein, je nach Stimmung. Heute legte sie die Latte ganz hoch auf »gut«. Und fegte darüber hinweg. Sie ließ einwandfrei gute, beständige Spielerinnen aussehen, als gehörten sie überhaupt nicht auf den Platz.
»Gib ab, Vreeland!«, brüllte Molly sie an. Auf einem höheren Spielniveau hätte sich Bridget diesen Quatsch nicht bieten lassen. Wenn eine Spielerin voll in Fahrt ist, lässt man sie machen. Man spielt ihr den Ball zu.
Bridget gab ab. Der Ball kam gleich wieder zu ihr zurück. Ihre Mitspielerinnen zollten ihrer Power Anerkennung, auch wenn die Trainerin das nicht tat. Sie schoss wieder ein Tor. War es das dritte oder das vierte?
Molly war deutlich anzusehen, dass sie stocksauer war. Sie gab der Schiedsrichterin ein Zeichen, damit sie pfiff. »Ersatzspielerin rein!«, rief Molly. »Raus mit Vreeland.«
Bridget war mindestens genauso sauer. Sie marschierte zur Seitenlinie und setzte sich ins Gras, stützte das Kinn in die Hände. Sie war noch nicht mal außer Puste.
Molly kam zu ihr. »Bridget, das ist ein Übungsspiel . Da muss jede spielen. Es geht darum, dass ich sehe, was wir an Spielerinnen haben. Du bist eine Superheldin. Das hab ich gesehen und alle anderen auch, klar? Heb dir das fürs Pokalspiel auf.«
Bridget senkte den Kopf. Mit einem Mal spürte sie, wie diese ganze Intensität zusammenbrach und auf sie einstürzte. Am liebsten hätte sie geweint.
Liebe Tibby,
Kanapees mit gegrillten Shrimps, graved lax (was zum Teufel ist das denn?), blanchierter Blattspinat und gebratene Schweinelende. Das Blumenarrangement beinhaltet Tuberosen (hä?) und Magnolienblüten (ihre Lieblingsblumen!). Ich könnte noch fünfundzwanzig Seiten lang so weitermachen, Tib, aber ich will dich damit verschonen. Hier wird von NICHTS anderem mehr geredet – ich meine, von den Leuten, die überhaupt was sagen. Ich dreh allmählich durch. Wo ist mein Dad da nur hingeraten?
Voller Liebe und Bitterkeit
Carmen Lucille
»Welcher ist Ihrer?«, hörte Carmen einen Mann ihren Dad fragen.
Sie stand verdrossen ein paar Meter entfernt neben dem Platz. Paul war der Star seiner Mannschaft. In den acht Minuten, die sie da waren, hatte er bereits zwei Tore geschossen. Ihr Vater jubelte wie verrückt. Unten am Tor stand das Knochengerüst und war toller geschminkt als eine Flugbegleiterin. Alle paar Minuten legte sie in ihrer hysterischen Begeisterung eine Pause ein, um Carmen einen finsteren Blick zuzuwerfen.
»Welcher davon meiner ist?«, fragte ihr Vater verwirrt.
»Welcher ist Ihr Sohn?«, erklärte der Mann.
Ihr Vater zögerte, aber nicht lange genug. »Paul Rodman. Er spielt als Stürmer.« Ihr Dad zeigte auf ihn.
Ein kleiner Schauer jagte Carmen den Rücken hoch, über die Wirbelsäule bis zur Kopfhaut hinauf.
»Unglaublich, wie der Junge spielt«, sagte der Mann. Er wandte sich um und sah ihren Vater an. »Den Körperbau hat er von Ihnen«, sagte er und lief dann an der Seitenlinie entlang, um auf Ballhöhe zu bleiben.
Wie kann er seinen Körperbau von dir haben? Du bist nicht sein Vater! Am liebsten hätte Carmen aus vollem Hals losgeschrien. Ich bin dein Kind!
Ihr Vater kam zu ihr und legte ihr den Arm um die Schultern. Das fühlte sich jetzt nicht mehr so schön an wie vor fünf Tagen.
Jetzt hast du den Sohn, den du dir immer gewünscht hast, dachte Carmen bitter. Sie wusste, dass genau das sein Wunsch gewesen war. Das war ja auch nur logisch. Er hatte eine übellaunige Ex-Frau, eine mürrische Tochter und vier durchgeknallte Schwestern. Und hier war ein großer, schweigsamer, unkomplizierter Junge, der genauso gebaut war wie er.
Carmen wurde speiübel. Paul schoss noch ein Tor. Sie hasste ihn dafür.
Was Fußball anbetraf, war sie grauenhaft. Als Sechsjährige hatte sie in einer Jugendmannschaft gespielt. Sie war auf dem Fußballfeld rauf und runter gerast und hatte den Ball kein einziges Mal berührt. Ihr Vater war zu diesen Spielen ebenfalls gekommen.
»Richtig spannend, nicht wahr?«, fragte ihr Vater jetzt. »Macht es dir was aus, wenn wir den Rest der Halbzeit noch bleiben?«
»Ich? Was soll mir das denn ausmachen?« Ihre Bissigkeit drang offenbar nicht durch.
»Na großartig. Der Tennisverein hat jede Menge Plätze. Das dürfte kein Problem sein.«
Plötzlich tauchte das Knochengerüst auf. Sie schenkte Carmens Vater ein reizendes Lächeln.
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