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Eine für vier 01 - Eine für vier

Eine für vier 01 - Eine für vier

Titel: Eine für vier 01 - Eine für vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Brashares
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Zum Glück war immerhin noch die Tür in der Lage, ordentlich Krach zu machen.

Von den sechsunddreißig Wegen,
einer Katastrophe zu entgehen,
ist Weglaufen der beste. Herkunft unbekannt

Manchmal konnte sich Carmen mit einem Spaziergang wieder abregen. Dann wieder half das nicht.
    Sie marschierte die ganze Strecke bis zu dem kleinen Bachlauf am Waldrand. Sie wusste, dass im dichten Gestrüpp Wassermokassinschlangen lauerten. Sie hoffte, eine davon würde sie beißen.
    Sie stemmte einen breiten, schweren Stein aus der festgebackenen Erde der Uferböschung, schleuderte ihn ins Wasser und ergötzte sich an dem gewaltigen matschigen Platsch, von dem ihr Wassertropfen auf die Jeans sprühten. Der Stein blieb im Flussbett liegen und bildete einen kleinen Widerstand im gleichmäßigen Lauf des Wassers. Carmen schaute unverwandt auf den tosenden Bach, der sich rund um ihren Stein kräuselte. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich das Wasser der neuen Situation angepasst. Es verstaute den breiten Stein ein bisschen tiefer in seinem Bett und floss wieder gleichmäßig dahin.
    Inzwischen war das Essen auf jeden Fall fertig. Warteten die anderen auf sie? Fragten sie sich, wo sie abgeblieben war? Ihr Vater musste gehört haben, wie die Tür ins Schloss fiel. Ob er jetzt besorgt war? Vielleicht hatte sich ihr Vater auf die Suche nach ihr gemacht. Vielleicht lief er Richtung Norden und hatte Paul nach Süden geschickt, damit er an der Radley Lane nach ihr Ausschau hielt. Vielleicht wurde Lydias Brathähnchen kalt, aber ihr Vater konnte sich nicht darum kümmern, weil Carmen verschwunden war.
    Sie machte sich auf den Rückweg. Sie wollte nicht, dass ihr Vater die Polizei einschaltete, damit sie nach ihr suchte oder so. Und Paul war erst heute Morgen von dem Besuch bei seinem Vater wiedergekommen. Paul hatte genügend eigene Sorgen.
    Carmen beschleunigte ihr Tempo. Sie hatte jetzt sogar ein bisschen Hunger, nachdem sie seit Tagen kaum etwas gegessen hatte. »Ich esse, wenn ich glücklich bin«, hatte sie ihrem Vater gestern Abend mitgeteilt, nachdem sie den Auflauf auf ihrem Teller nicht angerührt hatte. Ihr Vater war nicht darauf eingegangen.
    Mit klopfendem Herzen stieg sie die Stufen zur Haustür hoch. Sie versuchte sich das Gesicht vorzustellen, das ihr Vater machen würde. War er überhaupt da? Oder war er unterwegs und suchte nach ihr? Sie wollte lieber nicht hereinplatzen, wenn nur Lydia und Krista da waren.
    Sie lugte zur Haustür hinein. In der Küche brannte Licht, aber das Wohnzimmer lag im Düstem. Carmen schlich ums Haus herum, damit sie mehr sehen konnte. Draußen war es schon so dunkel, dass sie sich keine Sorgen darum machen musste, entdeckt zu werden.
    Als sie zu dem großen Panoramafenster kam, das den Tisch im Esszimmer umrahmte, blieb sie wie erstarrt stehen. Sie hörte auf zu atmen. Zorn stieg wieder in ihr auf. Er stieg bis in ihre Kehle hoch; sie konnte ihn dort schmecken, hinten in ihrem Mund, ein metallischer Geschmack wie Blut. Er breitete sich nach unten in ihren Bauch aus und verkrampfte ihre Eingeweide. Er ließ ihre Arme steif werden und machte die Schultern starr und unbeweglich. Er stieß gegen ihre Rippen, bis sie das Gefühl hatte, sie würden wie dürre Äste brechen.
    Ihr Vater war nicht auf der Suche nach ihr. Er rief auch nicht die Polizei. Er saß am Esstisch vor einem Teller, der mit Brathähnchen, Reis und Karotten beladen war.
    Offenbar stand jetzt gerade das Tischgebet an. Ihr Vater hielt auf der einen Seite Paul an der Hand und auf der anderen Seite Krista. Lydia saß ihm genau gegenüber, mit dem Rücken zum Fenster. Die vier bildeten ein verschworenes Grüppchen, das durch die miteinander verbundenen Arme wie von einer Girlande umkränzt wurde. Sie hielten den Kopf gesenkt, waren nahe beisammen und dankbar.
    Vater, Mutter und zwei Kinder. Ein verbittertes Mädchen, das nicht dazupasste, stand unsichtbar draußen und schaute herein. Der Zorn war zu groß, um ihn in sich verschließen zu können.
    Sie stürmte die Stufen an der Hausseite hinunter und hob zwei Steine auf, kleine Steine, die leicht zu packen waren. Zwischen ihrem Gehirn und ihren Bewegungen gab es keinerlei Verbindung mehr, aber sie musste wohl die Stufen wieder hochgestiegen sein und mit dem Arm ausgeholt haben. Der erste Stein prallte am Fensterrahmen ab. Der zweite ging offenbar voll durch die Scheibe, denn Carmen hörte Glas splittern und sah ihn an Pauls Hinterkopf vorbeifliegen und an die gegenüberliegende Wand

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