Eine für vier 01 - Eine für vier
»Sie... sie...« Carmen musste abbrechen und ihre Gedanken sortieren. Warum fragte Tibby sie so aus? Warum konnte sie nicht einfach ganz normal sein und Carmens Gefühle als Beweis dafür akzeptieren, dass das, was falsch gelaufen war, eben falsch war? »Wieso stellst du mir so viele Fragen? Glaubst du mir nicht?«
Tibby riss die Augen noch weiter auf. »Natürlich glaub ich dir. Ich will nur... Ich möchte gern verstehen, was passiert ist.«
Carmen fuhr zornig hoch. »Da hast du, was passiert ist: Ich bin nach South Carolina geflogen, um den Sommer mit meinem Vater zu verbringen. Ich komm an und - Überraschung! Er ist umgezogen und wohnt bei einer neuen Familie. Zwei Kinder, ein schönes, großes Haus, der ganze Plunder.«
»Carmen, das weiß ich doch alles. Ich hab deine Briefe gelesen. Ehrenwort.«
Jetzt bemerkte Carmen zum ersten Mal, dass Tibby müde aussah. Nicht nur müde vom Zu-spät-ins-Bett-Gehen, sondern müde von innen. Auf der Nase und den Wangen hoben sich ihre Sommersprossen deutlich von ihrer weißen Haut ab.
»Ich weiß. Entschuldige«, sagte Carmen schnell. Sie wollte keinen Streit mit Tibby. Sie war darauf angewiesen, dass Tibby sie lieb hatte. »Ist mit dir alles in Ordnung?«
»O ja. Bestens. Irgendwie komisch. Aber alles im grünen Bereich. Glaub ich.«
»Was macht Wallman’s?«
Tibby zuckte mit den Schultern. »Dort herrscht meistens die pure Verzweiflung. Wie gewöhnlich.«
Carmen wies zum Meerschweinchenkäfig hinüber. »Wie geht’s der Ratte?«
»Mimi geht es blendend.«
Carmen stand auf und fiel Tibby noch mal um den Hals. »Tut mir Leid, dass ich so ein Drama aufgeführt habe. Ich freu mich so, dich zu sehen. Ich hab mich nur so danach gesehnt, mich bei dir auszuquatschen, dass ich kein vernünftiges Wort mehr zustande bringe.«
»Nein, das ist okay«, sagte Tibby. Sie drückte Carmen ihrerseits ganz fest und setzte sich dann aufs Bett. »Erzähl mir doch einfach alles, was passiert ist, und ich sag dir dann, dass du ein guter Mensch bist und die anderen die Hinterletzten sind«, versprach sie und hörte sich jetzt schon wieder mehr nach der gewohnten Tibby an.
Ich bin kein guter Mensch. Das waren die ersten Worte, die ihr in den Sinn kamen und nach oben drängten, aber Carmen behielt sie im Mund und ließ sie nicht über ihre Lippen kommen. Mit einem Seufzer streckte sie sich auf Tibbys Bett aus. Die Wolldecke kratzte. »Ich schätze, ich hab mich dort einfach ... unsichtbar gefühlt«, sagte sie langsam und bedächtig. »Niemand hat mich auch nur im Geringsten beachtet. Niemand hat zugehört, wenn ich gesagt habe, dass ich unglücklich bin. Keiner hat sich beschwert, wenn ich mich wie ein ungezogenes Gör aufgeführt habe. Sie wollten nur, dass alles hübsch perfekt ist und der Schein gewahrt bleibt.«
»Mit >sie< meinst du hauptsächlich Lydia? Oder deinen Vater?« Tibby zog das letzte Wort ein wenig in die Länge.
»Ja. Hauptsächlich Lydia.«
»Bist du auch auf deinen Dad sauer?«, fragte Tibby vorsichtig.
Carmen setzte sich auf. Wieso konnte Tibby nicht einfach mit ihr zusammen wütend sein? Tibby war eine wahre Meisterin der Wut. Sie urteilte ohne Sinn und Verstand. Ihre Abneigung loderte beim kleinsten Anlass auf. Sie hasste deine Feinde mehr als du selbst. »Nein, das bin ich nicht! Ich bin auf die anderen sauer!«, fauchte Carmen wie aus der Pistole geschossen. »Ich will mit ihnen nichts zu tun haben. Ich will, dass sie verschwinden und ich wieder allein mit meinem Vater bin.«
Tibby wich ein Stück zurück. In ihre Augen trat ein erschöpfter Ausdruck. »Carma, meinst du nicht... Ich meine, ist es wirklich...« Tibby zog die Füße aufs Bett hoch. »Könnte es sein, dass die Welt davon nicht untergeht?«, fragte sie und schaute dabei zu Boden. »Dass es gar nicht so schlimm ist? Ich meine, im Vergleich zu wirklich schlimmen Dingen?«
Carmen starrte ihre Freundin mit offenem Mund an. Seit wann war Tibby Miss Ausgewogenheit geworden? Miss DieDinge-im-richtigen-Verhältnis-Sehen? Wenn jemand in Selbstmitleid schwelgte und anderen dafür die Schuld gab, dann war das Tibby. Wieso wollte Tibby ihr vernünftig zureden, wenn sie einfach nur angehört werden wollte?
Sie hatte das Gefühl, als wäre ihre Lunge von tausend Löchern durchbohrt. »Wo hast du denn Tibby gelassen?«, stieß Carmen schließlich hervor und ging aus dem Zimmer.
Liebe Lena,
mit dem Film geht es voran, aber er ist ganz anders, als ich mir das gedacht hatte. Bailey ist zu meiner selbst
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