Eine ganz andere Geschichte
bei mir gelebt, seit meine Frau und ich uns getrennt haben, und jetzt vermisse ich sie. Ich habe noch zwei Söhne, aber die leben in Dänemark bei ihrer Mutter und ihrem neuen Freund.«
»Sie haben besseren Kontakt zu Sara als zu Ihren Söhnen?«
»Ja.«
»Wie lange will Sara in London bleiben?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Nun, sie ist wohl bei mir ausgezogen, das ist mir schon klar, aber ich mache mir Sorgen um sie. Sie wird wohl irgendwann zurückkommen und studieren, das ist so ein Freiraum, den sie sich heutzutage gönnen. Nichts Besonderes, es ist mir schon klar, dass es allen Eltern so geht.«
»Haben Sie sie schon mal besucht?«
»Ich wollte im September hinfahren.«
»Gut. Ich habe einen Sohn, der nach der Schule nach Genf gezogen ist. Ich habe mir auch Sorgen gemacht, aber als ich ihn da unten mal besucht hatte, ging das vorüber.«
»Mit Mädchen ist es schlimmer.«
»Da kann was dran sein. Aber ich finde es gut, wenn Sie sie besuchen. Gibt es noch andere Gründe, um sich Sorgen zu machen?«
Er aß drei Weintrauben, bevor er antwortete.
»Ich habe um die Hand einer Frau angehalten, aber ich habe Angst, dass sie nein sagt.«
»Ach? Kennen Sie sie schon lange?«
»Ein Jahr ungefähr.«
»Und Sie wollen sie heiraten?«
»Sonst hätte ich ja wohl nicht um ihre Hand angehalten!«
»Stimmt. Wohnt sie auch hier in Kymlinge?«
»Helsingborg. Sie wohnt in Helsingborg.«
»Ich verstehe. Und wann haben Sie sie gefragt?«
»Vor einer Woche. Sie wollte mir heute ihre Antwort geben, aber nachdem ich eine Anzeige laufen habe, weil ich einen Reporter vom Expressen niedergeschlagen haben soll, hat sie ihre Antwort auf Samstag verschoben.«
Doktor Olltman sah für einen Moment verwundert aus, dann veränderte sie ihre Sitzhaltung. Schlug jetzt das linke Bein über das rechte und schien nachzudenken.
»Gibt es noch mehr negative Einschläge in ihrem Leben?«
»Die Prügelei mit dem Reporter war nicht gut. Die Leute glauben jetzt, ich wäre ein Polizeirowdy.«
»Mhm?«
»Ich bin vom Dienst suspendiert.«
»Sie arbeiten nicht mehr an den Ermittlungen mit?«
»Nein.«
»Sonst noch was? Gibt es noch mehr?«
»Ich weiß nicht, ob ich wirklich länger bei der Polizei bleiben will. Ich … ich sitze allein in meiner verdammten Wohnung und leide wie ein Schwein auf dem Asphalt.«
Sie lachte auf. »Ein Schwein auf dem Asphalt, das habe ich noch nie gehört.«
»Ich auch nicht, ist mir gerade so eingefallen. Obwohl ich gar nicht sagen kann, ob es einem Schwein auf dem Asphalt wirklich nicht gefällt. Ich weiß so gut wie nichts über Schweine.«
»Da können wir uns die Hände reichen.«
Er sah, dass es ihr schwerfiel, nicht laut loszulachen, aber dann holte sie tief Luft und wurde wieder ernst. Blieb ein paar Sekunden schweigend sitzen und betrachtete ihn aus intensiven blauen Augen. Interessant, dass man immer noch so blaue Augen haben kann, wenn man schon so alt ist, dachte er. Die sehen eher aus, als gehörten sie in den Schädel einer Achtzehnjährigen.
»Wenn ich das Ganze ein wenig zusammenfassen darf«, sagte sie schließlich und streckte sich in ihrem Sessel, »dann gibt es mehrere Dinge, die Ihr Leben in den letzten Monaten negativ beeinflusst haben. Ihre Tochter ist von zu Hause ausgezogen. Sie fühlen sich einsam und sind nicht zufrieden mit ihrem Job. Sie haben eine neue Frau kennengelernt, sind sich aber nicht sicher, ob sie wirklich mit Ihnen zusammenleben will. Sie bekommen merkwürdige Briefe von einem Mörder. Sie sind angezeigt worden, weil Sie einen Journalisten geschlagen haben, und von Ihrer Arbeit suspendiert. Stimmt das in groben Zügen?«
Er überlegte kurz, ob er noch hinzufügen sollte, dass er allgemein über den Sinn des Lebens nachdachte, ließ es dann aber lieber. »Ja, das war wohl im Großen und Ganzen alles.«
Sie lächelte, und das Blau ihrer Augen funkelte ein wenig. »Finden Sie es merkwürdig, dass es Ihnen schlecht geht … wenn wir die Umstände in Betracht ziehen?«
Er dachte nach. »Nein, da mögen Sie recht haben. Aber es wäre trotzdem besser, wenn man etwas dagegen machen könnte.«
»Versuchen können wir es auf jeden Fall. Wenn Sie all diese Dinge bewerten sollten, was empfinden Sie als am schlimmsten?«
»Marianne«, antwortete er spontan. »Oder Sara … obwohl, Sara liegt irgendwie außerhalb meiner Reichweite.«
»Sie muss wohl ihr eigenes Leben leben dürfen?«
»Ich denke schon.«
»Aber Marianne, das ist die Frau, um die Sie
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