Eine geheime Liebe - Roman
Anlass für einen ungewohnten inneren Aufruhr wurde, mitsamt Herzklopfen, Erröten, Kontrollverlust, unerklärlicher Aggressivität und dem Wunsch, große Hände mit langen Fingern und angeknabberten
Fingernägeln in die meinen zu nehmen, sie inbrünstig zu küssen. Das sind alarmierende Symptome für jemanden, der so etwas - wie ich - nicht mehr gewohnt ist. Nach den ersten unschuldigen Anzeichen habe ich Angst bekommen. Davor, mich ungebührlich zu offenbaren und mein Innerstes nach außen zu kehren.
Vertragsgemäß sollte ich mich in ein Theater verlieben. Ich habe mich in Sie verliebt. Bitte lachen Sie nicht. Mit vierzig so etwas zuzugeben, ist nicht leicht. Mir ist es passiert. Und nun legen Sie den Bogen nieder, nehmen Sie dem Ton Ihres Violoncellos die Poesie, verzichten Sie auf dieses verzaubernde Lächeln. Kehren Sie als namenloser Musiker an Ihr Pult zurück. Und haben Sie Geduld. Es geht vorüber, das weiß ich.
C.
»Mit diesem Brief haben Sie gegen eine jahrtausendealte Regel verstoßen, Signora. Den triumphalen Erfolgen der Frauenbewegung zum Trotz steht es allein den Männern zu, Liebeserklärungen zu machen.«
Das sagte sie ohne jede Spur von Hintergedanken. Vielmehr schien sie mich nur allzu gut zu verstehen.
»Sie waren sehr mutig. Geradezu tollkühn.«
»Ja. Vorsicht ist eine Tugend, die mir nie gegeben war.«
»Ich kenne die Bequemlichkeit meines Vaters, deshalb nehme ich an, dass Sie ihm einen großen Dienst erwiesen haben.«
Diese Lucrezia gefiel mir immer mehr, meine liebe Gabriella. Das Gespräch beflügelte mich. Diese Frau war einfühlsam, sensibel und vermochte die Dinge offensichtlich mit jener feinen Ironie zu betrachten, die alles leichter erscheinen ließ. Leichtigkeit! Das ist eine meiner Errungenschaften im Alter. Sogar er wäre erstaunt über meine Fortschritte. Leichtigkeit hat er für seine siegreiche Waffe gehalten, vor der ich nicht im Mindesten geschützt war.
»Ja, Lucrezia. Als er vorbehaltlos auf meinen Lockruf reagierte, sagte er, dass ihn dieses eine Blatt Papier vor dem mühsamen Ritual des Hofierens bewahrt habe. Ich wartete auf den nächsten Schritt. Er war verheiratet, das war mir klar. Und ich war glücklich in den Hafen meiner zweiten Ehe eingelaufen. Eine Wiederholungstäterin.«
»Eine Romantikerin«, fügte sie hinzu, und für meine Begriffe klang ein mehr als berechtigter Vorwurf in ihrer Stimme mit.
Bei diesem Wort wurde ich rot. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit, den ich, wie Du weißt, stets gehasst habe. Immer habe ich versucht, ihn hinter einem starken Leistungswillen zu verstecken.
»Noch schlimmer. Eine sentimentale dumme Kuh.«
Auf der Liste der Mängel, mit der ich in regelmäßigen Abständen Bilanz ziehe, nimmt das den vierten Platz ein. Direkt hinter Impulsivität, Aufdringlichkeit und Naivität. Erst später habe ich begriffen, dass es ein Geschenk ist. Den ersten Kuss, den wir auf einer Parkbank getauscht haben, könnte man sentimental nennen. Mit Sex oder Leidenschaft
hatte das nichts zu tun. Damit war der Eintritt in die Heimlichkeit besiegelt.
»An unserem ersten gemeinsamen Abend haben wir einen Spaziergang gemacht. Er hat von sich geredet, von der Familie, aus der er stammt, und hat die chronologische Ordnung der Dinge ziemlich durcheinandergebracht. Ein zehnjähriges Kind, das sich angesichts eines kleinen Cellos Hals über Kopf in die Musik verliebt. Das Leben in einer Familie, die in der Provence ansässig ist. Ein einfaches Leben. Ein kultiviertes Leben. Wir wussten nicht viel voneinander und mussten die verlorene Zeit aufholen. Das geschlossene Parktor forderte das Kind in uns heraus; über das Mäuerchen zu springen, war eine spontane Entscheidung. Der menschenleere Park wirkte wie ein Friedhof mit seinen schattigen, vom Herbst verfärbten Pflanzen. Eine alte Bank wurde zur Zeugin einer endlosen Abfolge von Küssen - solchen, die dich hoffen lassen, dass bei deiner Heimkehr alle schon schlafen, wie zu den Zeiten, als man indiskrete Gedanken vor der allzu großen Strenge der Eltern verstecken musste. Die Küsse verdienten einen Brief, der die Jugend wieder wachrief.«
Mein Geliebter, es gibt eine Bank, die sich für immer in mein Gedächtnis eingeprägt hat. Klapprig, aber einladend. Sie hat süße Küsse und wunderbar zärtliche Umarmungen gesehen. Fast ein Melodram. Es war die richtige Geschichte zum falschen Zeitpunkt. Gestern Abend habe ich Dich sehr geliebt.
Mit Dir zusammen zu sein, erschien vollkommen natürlich.
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