Eine geheime Liebe - Roman
Sogar unsere Körper haben zueinander gepasst. Ich habe mich glücklich und behütet gefühlt, die reinste Harmonie. Wir haben uns zu keinerlei Ausschweifungen hinreißen lassen, zu nichts, was nicht absolut notwendig gewesen wäre. Du fehlst mir jetzt schon, aber wie soll ich es Dir sagen? In vierzig Jahren ist es das erste Mal, dass ich mich in jemanden verliebe, den ich nicht mitten in der Nacht anrufen kann. Das ist, als würde ich mir mein Verlangen austreiben und im Nichts versinken müssen. Wie soll ich ohne diese Küsse leben? Ich liebe Dich schon jetzt.
C.
»Ich habe angefangen, ihm zu schreiben, um dieser Liebe ein Gesicht zu geben. Auch mein Leben habe ich in einem Brief zusammengefasst. Schauen Sie, da ist er.«
Ich habe ihm geschrieben, was man nicht sagen kann, Gabriella. Niemand hat je vermutet, dass ich schüchtern sein könnte.
Gedanklich überflog ich die einseitige Korrespondenz und starrte auf die Schachtel, um gegen mein Misstrauen anzukämpfen. Jahrelang hatte ich diese Botschaften auf Diskette gespeichert und oft am Bildschirm noch einmal durchgelesen. Jedes Mal hatte ich mir vorgestellt, wie ich sie ans Herz drücke, so wie man es mit Fotos von geliebten Menschen tut. Eines Tages hat dann ein entschlossener, trockener Mausklick das Ganze gelöscht.
Lucrezia, diese Unbekannte, spionierte in meinem Leben herum, ohne das Recht dazu zu haben. Meine Unsicherheit gab sich aber schnell wieder, und ihre erwartungsvollen Blicke genügten mir, um unsere Begegnung wie den Weg zur endgültigen Heilung zu erleben. Ich schämte mich.
»Ich habe nichts aufgehoben, was an diese Liebe erinnert, Lucrezia. Reisetickets, Fotos, Zettel, Plakate von unvergesslichen Konzerten, alles ist im Papierkorb gelandet, und zwar am Tag, an dem seine Abwesenheit für mich unerträglich wurde. Ich habe es nie bereut, das können Sie mir glauben.«
Befangen suchte ich in der Schachtel herum. Die Briefe waren nach Datum sortiert und so sorgsam aufbewahrt, dass es für unsere Zögerlichkeit keinen weiteren Grund gab. Wie in einem perfekt sortierten Archiv war in diesen Papieren mein Leben festgehalten. Wir hätten es nach Themen ordnen können, in alphabetischer Reihenfolge: A wie Abmachung, B wie Begeisterung, K wie Kinder, L wie Leidenschaft, V wie Verrat, Z wie Zorn. Ein Alphabet der Gefühle, wie es sich in rosa umrandeten Schülertagebüchern findet. Auf weißen Seiten, die sich mit Träumen füllen.
Die Liebe vergeht nicht. Sie ändert nur die Richtung.
Mein Geliebter, ich liege im Bett. Carolina ist, ohne eine Erlaubnis abzuwarten, unter meine Bettdecke geschlüpft, zusammen mit einem ganzen Zoo an Stofftieren, und möchte die Nacht hier verbringen. Sie hält meine Hand. Ohne jede Hingabe.
Ich höre über Kopfhörer Musik. Brahms. Wer sonst könnte die Angst besänftigen, wenn nicht er, dem ich das nie zugetraut hätte.
Du behauptest, dass Du nichts über mich weißt. Um Dir mein Leben zu erzählen, würde eine einzige Nacht ausreichen. Oder ein Nachmittag in der Bar. Um es zu leben, habe ich vierzig Jahre gebraucht. Seit kurzem ernte ich, was ich meine kostbaren Früchte nenne. Sie besänftigen eine sperrige Persönlichkeit, die sich vom Bösen einschüchtern lässt. Winzige Errungenschaften: die berufliche - zwischen Klängen zu arbeiten; die persönliche - Dir heute Abend ins Gesicht geschaut zu haben, ohne dass sich ein Schraubstock um meinen Magen schloss. Das ist ein gutes Ergebnis, findest Du nicht auch?
Du schlägst mir vor, dass ich auf einem weißen Blatt alles skizzieren soll: Begegnungen, Cafébesuche, musikalische Erlebnisse. Das ist, als würde man auf dem Computer eine Datei anlegen, ihr einen Titel geben (Wie nennen wir sie? »Diese Sache«?) und das Mosaik dann zusammensetzen. Übrigens ist auch Dein Körper für mich nicht geeignet. Um Dich im Stehen zu küssen, müsste ich mich auf eine Stufe stellen. Unmöglich. Wenn ich rede, lasse ich mich von Assoziationen, Beschwörungen, Intuitionen leiten. Du sprichst von Tatsachen. Vielleicht sollten wir uns in der geheimnisvollen Sprache der Gesten verständigen, wie die primitiven Völker. Eine Karte der Route, die mich zu Dir geführt hat, kann ich nicht zeichnen. Ich bin schlicht dem unsichtbaren Faden der bangen Neugierde gefolgt.
Man lernt niemanden kennen, indem man Ereignisse auflistet oder einen Blick in seinen Personalausweis wirft. Es gibt nichts, das Du von mir wissen müsstest, was Du nicht längst weißt. Du bist ein junger Mann, den
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