Eine geheime Liebe - Roman
wichtige Angelegenheit, um im metallischen Klang eines Telefonapparats umschrieben zu werden. Ohne etwas entgegnen zu können, habe ich mir wenig einfühlsame Floskeln anhören müssen: »Der Papa ist nicht mehr«, »Sie müssen kommen, um Ihren Bruder mitzunehmen«, »Deine Schwester hat heute Nacht in einem Krankenhausbett ihr Leben ausgehaucht. Es war ein sanfter Tod«, »Ihre Mutter ist verschieden, Signora.« Ich bin eine Expertin in Sachen Tod per Kabel. Meine Mutter war die letzte in einer langen Reihe von Menschen, die zugrunde gehen mussten, damit ich überleben konnte. Es stimmt nicht, dass man für jemanden stirbt. Nicht einmal die quälendste und freizügigste Liebe rechtfertigt den Tod. Schon wenige Minuten, nachdem man dem anderen die Augen geschlossen hat, wird man egoistisch. Der verlegene Spruch der Carabinieri, die mir die Nachricht wie die Glöckner einer Totenglocke verkündet haben, hatte einen starken süditalienischen Akzent. Niemand hat mir einen heiteren Tod im Schlaf gegönnt. Nur Selbstmorde, Unfälle, kurze, schwere Krankheiten. Und doch bemächtigte sich nach der dumpfen Leere der ersten Wochen ein ungreifbarer Enthusiasmus meines Innern. Ich war frei. Und mein ungesundes Gefühl,
in dieser überfüllten Familie vollkommen allein zu sein, erwies sich schließlich doch noch als schicksalhaft. Wenn ich es genau bedenke, habe ich nie einen Mangel empfunden. Im Sommer zu sterben, war ihre letzte Unaufmerksamkeit gewesen. Sie hatten beschlossen, sich aus meinem Leben zu verabschieden, wenn die glühende Hitze dem Tod seine eigentümliche Leichtigkeit nimmt und die Beerdigung in großer Eile vonstatten gehen muss. Ich habe Jahre gebraucht, um sie wirklich zu begraben. Aber die Tatsachen haben mir geholfen.
Ich betrachtete Lucrezia und dachte an ihre Mutter, die für mich ein Geist ohne Gesicht und Körper war. Da stand sie in meinem winterlich auftrumpfenden Garten, und ich fragte mich, ob diese Frau sie geliebt hatte. Gerne hätte ich gewusst, ob sie glücklich miteinander waren, ob sie sich vertraut haben, ob sie sich in den Arm genommen und gegenseitig getröstet haben. Ich riss mich zusammen und übertrug das Thema auf mich.
»Alles reduziert sich auf wenige, einfache Dinge, Lucrezia. Unsere Existenz entscheidet sich in jenen ersten Jahren oder Monaten des Lebens, wenn man, erst als Kind und dann als Eltern, den anderen Erfahrungen vortäuscht und sich in seiner Naivität hinreißen lässt. Um Missverständnissen vorzubeugen, habe ich mich bei meinen Kindern auf eine große Ernsthaftigkeit verlegt. Ich habe sie bestärkt und nie einen Rückzieher gemacht. Was meine Gefühle betrifft, habe ich versucht, in einer emotionalen Unbestimmtheit zu leben. Das war so quälend, dass ich sie mit langweiligen
und möglicherweise überflüssigen Bekenntnissen zermürbt habe. Täglich habe ich Mattia und Carolina gesagt, dass ich sie liebe. Ich glaube nicht, dass es ihnen vollkommen unbeschwerte Jahre beschert hat.«
Ich hätte mir gewünscht, dass sie von sich spricht, aber sie ging schweigend weiter, langsam. Ihre runden, geschmeidigen Hüften wiegten sich in einem leichtfüßigen Gang, der mir ihrer Größe nicht angemessen zu sein schien. Diese Begegnung bekam allmählich etwas Poetisches. Mit gewolltem Zynismus schob ich das auf die Landschaft meiner geliebten Provence, während ich den Faden der Erinnerung wieder aufnahm. Die Kälte spürte ich nicht mehr, und auch der Wind war von einer unsichtbaren, verständnisvollen Hand besänftigt worden.
»Das Gefühl für Ihren Vater hatte keine konkrete Gestalt. Es war absolut. Als hätte mir ein fremde Kraft zu lieben aufgetragen. Die Gewissheit raubte mir den Atem, ich wollte die Geschichte in Worte fassen. Zu spät habe ich gemerkt, dass ich die falsche Sprache gewählt hatte. Mit der Zeit habe ich gelernt, sie auf ihn abzustimmen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich in all seiner Zerbrechlichkeit ausdrücken zu können. Ich wollte ihn dazu ermuntern, Vertrauen zu haben.
»Ihr Vater hat nie auf seine Individualität und seine beruhigenden Gewohnheiten verzichtet. Fast zwei Jahre lang habe ich versucht, ihm Mut zu machen, damit er sich ergreifen lässt. Wenn man ihm aber seine Einzigartigkeit nicht ließ, konnte er nicht einmal ein Quäntchen Liebe aufbringen.
Ich habe ihm erklärt, dass man sich in der Liebe verliert. Er hat das bestritten. Ich habe vom starken Gefühl gesprochen. Er zog sich zurück und verbarg sein Innerstes. Für ihn war
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