Eine geheime Liebe - Roman
Schnee seinen langsamen Fall auf die Erde beendet hatte. Die Musik hatte ihn begnadigt, ein Präludium von Bach, schwierig auch für schnelle Finger wie die ihren. Es schien nach einer verlorenen Melodie zu suchen. Die Musik stieg vom Instrument auf, wie einer Mutter ein Kind geboren wird. Ich beobachtete Lucrezia durchs Wohnzimmerfenster und konnte mich an der Melodie nicht satthören. Unmöglich, sie zu unterbrechen. Ich wollte den Glanz nicht zerstören, der von dieser schmalen Figur ausging, die vornübergebeugt dasaß und sich in ihrer Konzentriertheit von der Welt isolierte. Irgendwann verklangen die Töne, und sie legte den Bogen, den sie kurz zuvor noch wie etwas Unersetzbares in der Hand gehalten hatte, zur Seite. Nun ging ich hin und tat so, als wäre ich soeben erst gekommen.
»Ich war im Dorf und habe eingekauft. Aber spielen Sie doch bitte weiter, Lucrezia, während ich das Frühstück vorbereite. Wir werden es uns auf der Veranda gemütlich machen. Ich habe Ihnen Croissants mitgebracht, außerdem eine wunderbare Pfirsichmarmelade und Orangensaft.«
Ich würde dort weitermachen müssen, wo ich am Abend zuvor aufgehört hatte, Gabriella. Meine Worte waren bei der Leidenschaft gelandet, und nun verlangten sie Raum für das Leiden. Das Essen half mir, gebührenden Abstand zu wahren. Ich schlürfte meinen Kaffee und blieb zunächst im Unbestimmten.
»Ein paar Monate nach der Versöhnung ist die Krankheit ausgebrochen.«
»Was für eine Krankheit? Wer war krank?«
Das erste Klavierkonzert von Brahms erfüllte die Veranda mit seinem poetischen Glanz. Offenbar rüttelte das Wort sie aus der Trägheit, in die sie nach dem Üben gefallen war, weil sie die Pflicht gegenüber ihrem Instrument nun erfüllt hatte. Ich dachte, sie hätte genug von mir und ihm, aber zu meiner Überraschung bat sie mich fortzufahren. Der Dialog war immer noch eine Einbahnstraße. Vielleicht hätte ich Fragen stellen sollen, aber ihre Reserviertheit hielt mich davon ab. Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn sie mein Vertrauen gesucht hätte. Der Kaffee vor meiner Nase dampfte noch, und meine Stimme das Wort wiederholen zu hören, hat mir das erste Lächeln an diesem Morgen entlockt.
»Ihr Vater hat gegenüber dem Wort Krankheit denselben Unwillen gezeigt wie Sie jetzt, Lucrezia. Er hat mir verboten, es in den Mund zu nehmen. Bestenfalls durfte ich Unwohlsein, Beeinträchtigung, Störung oder Zipperlein sagen. Tatsächlich war es eine Behinderung. Das ist mir erst Monate später klar geworden. Auch in diesem Fall habe ich das in einem Brief angesprochen.«
Mein Geliebter,
es wäre schön, wenn ich meine Worte vorausschicken könnte. Ich würde mich hinter ihnen verstecken und beobachten, wie sie einsam auf das Blatt zufliegen und sich zu diesen Gedankenfetzen sammeln. Und dann zu Dir eilen. Ich könnte diesen Brief unter ein Motto stellen, das aus unserem Wortschatz immer verbannt blieb. Zukunft. In den achtundvierzig Stunden, die ich mit Grippe im Bett lag, hat es sich in mein Gehirn eingeschlichen. Ungebührlich. Lästig. Es ist herumgeirrt und kehrte dann, kurz und schmerzlos, zum Ausgangspunkt zurück. Sieben verlegene Buchstaben. Einfache, schnöde, kindliche Buchstaben: Zukunft. Sieben Buchstaben wie ein Schatz, eine Freude, ein Wert. Um mir ein Herz zu fassen, blättere ich in berühmten Briefwechseln: in den Briefen, die Wagner an Mathilde geschrieben hat oder Stendhal an seine Geliebten, oder auch jene - triefend vor Zärtlichkeit -, die Georges Sand und Alfred de Musset gewechselt haben. Du antwortest nie. Ich schreibe Monologe. Indem ich die Großen lese, rechtfertige ich die Übertreibungen meiner Briefe. Und Du? Wo bewahrst Du all dieses Papier auf? Ich fühle mich nicht als Herrin meines Schicksals, während Du Dich in Deinen Gewohnheiten einrichtest. Und zu denen gehöre ich noch nicht.
Ich schaue ängstlich aufs Morgen und habe keine Lösungen vorzuschlagen. Mein Ehrgeiz richtet sich darauf, dem natürlichen Weg zu folgen, der den Faden Deiner Gedanken irgendwann zu einer Wahl führen wird. Ich möchte nicht nur geliebt werden. Mittlerweile möchte ich
auch vorgezogen werden. Du denkst an Deine Schulter, die seit zwei Wochen selbst die zartesten Klänge Deines Cellos vergiftet. Es ist ein kaum merkliches Leiden, das Du dem Orthopäden in allen Einzelheiten beschrieben hast, in der heimlichen Hoffnung, die ungewohnte Offenheit würde Dir bereits helfen. Du beschreibst das Leiden als furchtbar normal und doch als
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