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Eine geheime Liebe - Roman

Titel: Eine geheime Liebe - Roman
Autoren: PeP eBooks
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zornig wie ein Gott. Wir sind ins Kino gegangen, haben lange Spaziergänge gemacht, und ich habe ihn zum Homöopathen begleitet. Wie Studenten in den Semesterferien haben wir Kirchen und Museen besucht, die wir nicht kannten. Auch in den gedämpften Sälen des Museums für moderne Kunst oder vor einer strengen romanischen Kirche hat unsere Verschiedenheit zu erfrischenden Disputen Anlass gegeben. Angesichts der Schönheit kann ich nicht schweigen, während er sich lieber Zeit zum Schauen lässt. Unsere Existenz als Liebende war, zumindest nach außen hin, weniger dramatisch. Ich habe oft daran gedacht. Er hat sich dem Verlauf seiner Krankheit mit besessener Aufmerksamkeit gewidmet. Nicht spielen zu können, ließ ihn melancholisch werden, und ich vermied es, über Musik zu sprechen. Für ihn bedeutete das Instrument Sicherheit. Es war der Spiegel seiner Traurigkeit, das Ventil für seine Wut, die tägliche Pflicht, das Selbstgespräch. Eine Liebesbeziehung war es nicht. Es stellte eher den physischen Kontakt mit seinem tiefsten Innern her. Musiker habe ich immer um ihre unglaubliche Konzentrationsfähigkeit und diese absolute Hingabe ans Üben beneidet, um die asketische
Seite ihres Berufs. Wenn Sie und Ihre Kollegen vor diesen geheimnisvollen Papieren Körper und Seele quälen, um oft unhörbare Verbesserungen zu erzielen, wirken Sie auf den gewöhnlichen Sterblichen wie eine ferne Gestalt. Unzugänglich. Privilegiert. Vor allem wenn man Ihre Geheimsprache nicht versteht. Und aus diesen winzigen schwarzen Zeichen, die mit mathematischer Sorgfalt zu Papier gebracht werden, entstehen dann Klänge, die uns zu Tränen rühren. Musiker sind wie Kinder, die schnell alt werden müssen, oder? Die Disziplin raubt ihnen die Zeit für kindliche Zerstreuung.«
    »Mein Vater hat nie von seiner Krankheit gesprochen.«
    »Sie waren klein, Lucrezia. Das Schulterleiden hat ein paar Monate angehalten, auch wenn es nur eine Pause zwischen zwei Akten war. Zwischen der Leidenschaft und der endgültigen Trennung. Je mehr ich mich mit unserer Zukunft beschäftigte, desto schlimmer wurde seine Qual. Seine Abwesenheit war mit Händen greifbar. Eines Tages im Zug auf der Rückkehr von Parma habe ich seine Verzweiflung verstanden. Über Kopfhörer hörte er ein Stück aus dem Konzert, das er in einer Woche hätte spielen sollen, und hatte die Partitur auf den Knien liegen.«
    Die Finger gehorchen mir nicht mehr. Ich habe das Gefühl für die Saiten verloren.
    »Er sah im Kopf nicht mehr die Stellen, wo er die Finger hätte hinlegen müssen. Wenn er in die Noten schaute, spürte
er, dass sie in weiter Ferne lagen. Abwesend. Verstehen Sie? Ein schrecklicher Schwindel ergriff ihn, das Gefühl, vor dem Nichts zu stehen. Seine Unsicherheit kulminierte im fehlenden Tastsinn, der ihm in jenem Moment endgültig schien.
    »Von dem Tag an hat er die Anweisungen des Arztes nicht mehr befolgt. Er hat heimlich gespielt, immer nur eine halbe Stunde am Tag, und strikt auf die Uhr geschaut. Um nicht zu sündigen. Manchmal sah ich, wie er den Kopf zur schmerzenden Schulter hinabbeugte und still verharrte, als wollte er den Bewegungen eines Eindringlings, der sich widerrechtlich in seinen Körper eingeschlichen hatte, nachspüren. Er legte das Ohr auf die Schulter und sprach über sein Leiden.
    » Hör zu , sagte er, und ich tat so, als würde ich ihn verstehen. Ich war verschlossen und zählte bereits die Tage bis zu unserer Trennung. Wir wussten beide, dass unsere Geschichte ausklang. Ich konnte ihn nicht trösten. Ich war blockiert, tieftraurig und hatte keine Energie mehr. Und kein Körpergewicht. Ich konnte mich innerlich so weit in den Griff bekommen, dass ich meine Angst zurückdrängen und sie in seiner Anwesenheit in heitere Gelassenheit verwandeln konnte. Ich habe einfach nicht mehr mit ihm über uns gesprochen. Abends schlief ich dann weinend ein. Am liebsten hätte ich ihm den einzig möglichen Ausweg vorgeschlagen: gemeinsam fortgehen. Hartnäckig habe ich mich darauf vorbereitet, es den Kindern und Guido zu sagen. Um nicht einsehen zu müssen, dass ich nie in die Verlegenheit geraten würde, es zu tun.

    »Ihm ging es zu schlecht, um sich um meinen Gemütszustand Sorgen zu machen. Ein ungreifbares Schuldgefühl raubte ihm den Schlaf. Der Arzt hatte uns gewarnt: Nachts wird es Ihnen noch schlimmer vorkommen. Sie werden nicht auf der Schulter liegen können und Mühe beim Umdrehen haben. Zum ersten Mal hatte er richtig Angst. Seit Wochen hatten wir
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