Eine geheime Liebe - Roman
eine permanente Störung in Deinem Körper. »Es ist nicht wirklich ein Schmerz«, murmelst Du. »Eher der Keim eines Schmerzes«. Von etwas anderem sprichst Du nicht mehr, und ich begleite Dich zum Arzt auf meiner unbeteiligten Pilgerschaft zu der verlorenen Glückseligkeit. Wer immer Dir begegnet, bekommt es mit einem finsteren, unsympathischen Menschen zu tun, und das alles wegen einer Schulter. »Warum ausgerechnet die Schulter?«, fragst Du ständig - die Litanei eines Besessenen. Wie exzentrisch Du bist. Die Schulter ist Dein Arbeitsinstrument, nicht wahr? Genau an dieser Stelle (habe ich Dir je gesagt, dass Du wunderschöne Arme hast?) wird die Kunst geboren. So ein Unsinn! Von dort aus verzweigen sich die physischen Bedingungen Deiner musikalischen Existenz. Das klingt schon besser!
Wie kann ich mit Dir über unsere Zukunft sprechen, wenn Du Dich auf Deine Sehnen konzentrierst und versuchst, eine Störung zu beheben, die Dir die Freude am Musizieren raubt? Du wirst schon sehen, der nächste Facharzt findet eine Lösung für Deinen erlauchten Arm. Ich versuche, Distanz zu meinem inneren Melodram zu wahren und über die kommenden Tage nachzudenken.
Wir könnten unser Zusammensein ausdehnen und Augenblicke, Kaffeepausen, immer neue Anläufe ansammeln. Ohne konkretes Ziel. Wir brauchen einander. Nur wenn dieses Bedürfnis beidseitig ist, verwandelt es sich in ängstliche Freude. Wir sind Opfer einer unwiderstehlichen, jeder Vernunft entbehrenden Anziehungskraft. Jedes Mal wenn wir sie mit einem Wort benennen wollen, fühlt sie sich eingesperrt, und wir richten nur Chaos an. Ich eigne mich nicht für heimliche Geschichten, das ist der Grund für mein Unbehagen. Meine Mutter hat klaglos die zahlreichen Geliebten meines Vaters ertragen, und obwohl mir das nicht viel ausmacht, gründet vielleicht mein instinktives Misstrauen gegen die Heimlichkeit in jener fernen Erfahrung. Ich verstecke mich nicht gerne. Außer vor den Augen von Leuten, die mir Angst machen. Die heimliche Liebe ist eine Liebe, die nicht existiert. Dich zu treffen und Dich nicht lieben zu können, ist, als würde ich nicht existieren. Als würde ich meine Existenz in der Welt leugnen. Seit Monaten mache ich das nun schon und erlebe mein körperliches Sein in der Familie, im Beruf, bei Freunden. Ich denke an uns als Paar und frage mich, wie eine gemeinsame Zukunft aussehen könnte, selbst nur ein Teil davon: drei Jahre, fünf, zehn. Das Thema ist heikel, lass besser die Finger davon. Und geh zum Orthopäden. Die Liebe erscheint mir immer noch als die einzige Behandlung seit Jahrtausenden, die Menschen von jedem Leiden heilen kann. Vor allem von dem zu existieren. Ich liebe Dich, verwirrt.
C.
Mein Geliebter,
ich bin wieder bei Dir, nach einem hektischen und nervösen Tag. Nicht einmal heute konnte ich Deine Angst beschwichtigen, mein verehrter Herr Musiker. Ich versuche es mit diesem Zettel, der Dich rechtzeitig zur Abendprobe an Deinem Pult erreichen wird. Zur letzten vor der Zwangspause. Die Konzentration der Ärzte auf den Körper zu erleben, bestätigt wieder einmal, dass deren Diagnosen die Seele außer Acht lassen. »Sie dürfen zwei Wochen nicht spielen.« Ein entschiedener, absoluter Befehl, der größte Empörung auslöste. »Feiern Sie einfach ein wenig krank«, hatte er gesagt und Dir mit irritierender Komplizenhaftigkeit die Hand gedrückt. Ich weiß, dass Du nicht krank sein möchtest, aber ich bitte Dich, hören wir auf ihn. Morgen machen wir uns ein Geschenk: Wie lange ist es her, dass Du schon nicht mehr am Nachmittag ins Kino gegangen bist? Ich möchte Deine Schulter sein. Und Dir den Schmerz der Liebe zufügen.
C.
»Dieser und andere Briefe haben einen monatelangen Leidensweg begleitet. Ihr Vater war öfter zu Hause, las, lud Freunde ein, goss die Blumen, buk köstliche Obsttorten. Das tat er alles mit der einen Hälfte, mit dem gesunden Teil seines Körpers. Er verriet mir, dass er plötzlich wieder gerne mit Ihnen, seinen Kindern, spielte. Das Cello lehnte in der Ecke seines Arbeitszimmers, stumm in seinem dunklen
Kasten gefangen. Es leistete den Dutzenden von Büchern Gesellschaft, die sich auf den Regalen drängten. Ihr Vater hatte endlich Zeit gefunden, seine Partituren zu sortieren und das Ex Libris hineinzustempeln, das ich ihm geschenkt hatte - ein Violoncello mit seinem Namen daneben.
»Wegen der Krankheit konnten wir uns öfter sehen. Er war so sanft und empfindlich wie ein schmollendes Kind, manchmal aber auch so
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