Eine geheimnisvolle Lady
stürzen.
Noch immer kam sie auf ihn zu. Jetzt konnte er bereits ihre Miene erkennen. Trotz ihrer selbstbewussten Schritte sah sie bleich und besorgt aus. Und so schön. Der Hund blieb stehen und schnupperte enthusiastisch an Unkrautstauden. Dann hob er den Kopf, abrupt spannte sich sein Körper an. Leise winselte er und hinkte zu Ashcroft.
»Komm zurück, Rex!«, rief Diana. Um dem Hund zu folgen, raffte sie die Röcke, und Ashcroft bot sich ein atemberaubender Anblick von schlanken, bestrumpften Waden. Sie trug derbe Halbschuhe, und während sie heranrannte, schwang der braune Rock über dem Sommergras hin und her und enthüllte einen Unterrock aus weißer Baumwolle. Ein zu züchtiges Bild, um einen Lebemann zu reizen – doch die Sehnsucht flammte in ihm auf wie Feuer in einem trockenen Holzstapel.
»Rex!«
Der Spaniel winselte wieder, dann begann er laut zu bellen. Erstaunlich schnell lief er zu Ashcroft, obwohl er seiner Herrin eben noch ermattet gefolgt war.
Leise fluchte Diana. Ziemlich vulgär. Aus dem Mund seiner Geliebten kamen keine gezierten Verwünschungen, wie Ashcroft anerkennend feststellte. Schon immer hatte ihm ihre Bodenständigkeit gefallen. Insbesondere, wenn sie damit seine Sinnenlust steigerte. Sie verließ den Weg und kämpfte sich durch das grüne Dickicht. Klopfenden Herzens sprang er auf. Seit seiner frühen Jugend war er in der Nähe einer Frau nicht mehr nervös gewesen. Und jetzt flatterten seine Nerven. Vergeblich suchte er nach dem Zorn, der ihn in den letzten Tagen gestärkt hatte. Stattdessen überwältigte ihn helle Vorfreude.
Zuerst tauchte der Hund auf. Knurrend durchquerte er das Gebüsch und starrte ihn aus blutunterlaufenen braunen Augen an. Dicht hinter ihm erschien Diana auf der kleinen Lichtung. Die Stirn gerunzelt, konzentrierte sie sich auf ihr entlaufenes Haustier. Ihr Haar fiel aus den Nadeln herab. Offenbar konnte sie sich noch immer nicht besser frisieren als in Perrys himmlischem Serail.
Tausend Erinnerungen stürmten auf Ashcroft ein, vernichtend wie Hammerschläge, weich wie Schwanenfedern. Diana, die sich unter ihm aufbäumte und vor Entzücken schrie, Diana nackt und träge nach der Liebe, Diana lachend, Diana streitlustig, Diana, die ihn herausforderte wie keine andere Frau.
Diana …
Ihm fehlten die Worte. In seiner Kehle steckte ein Klumpen, so groß wie der Mount Snowdon. Die Hände geballt, glaubte er, sein Herz müsse aus der Brust springen.
»Rex …« Dann blickte sie auf und entdeckte Ashcroft. Abrupt hielt sie inne, schnappte hörbar nach Luft, und der rosige Hauch wich aus ihren Wangen. Zitternd presste sich eine Hand zwischen ihre Brüste. Wie erstarrt stand er da und beobachtete die Gefühle, die sich in ihren grauen Augen zeigten. Zuerst strahlendes Glück, das sein Blut singen ließ. Dann Bestürzung, Angst und unverkennbare Gewissensqualen. Schließlich irgendeine komplizierte, dunkle Emotion, die er nicht zu deuten vermochte.
»Ashcroft«, wisperte sie, als wäre der Name ein Fluch.
Sie fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen, wie in den grausamen Träumen mit dem Hauptdarsteller Ashcroft, der nach Marsham kam und sie des Verrats anklagte. Doch die bösen Träume waren nicht so schmerzlich wie die anderen, aus denen sie schaudernd und schwitzend erwachte, dem Gipfel der Lust nahe, und sich fragte, warum die Phantomarme sie nicht in der Wirklichkeit umfingen.
So sehr hatte sie ihn vermisst. Weil er so starke Widerhaken in ihr Herz geschlagen hatte, würde sie sich niemals von ihm befreien können. Seit der Heimkehr fühlte sie sich beraubt, als wäre ihr ein Arm oder ein Bein amputiert worden.
Natürlich hatte sie nicht erwartet, er würde die Trennung kampflos akzeptieren. Es lag nicht in seiner Natur, etwas aufzugeben, was er besitzen wollte. Und – der Himmel möge ihr verzeihen – sie hatte ihn umgarnt, damit er sie besitzen wollte .
Am ersten Sonntagmorgen nach ihrer Rückkehr hatte ein Nachbar einen Fremden erwähnt. Der habe sich nach ihr erkundigt. Sie wusste sofort, dass es Ashcroft gewesen sein musste. Erstaunlicherweise war es ihrem Vater gelungen, ihn fortzuschicken. Über diese Begegnung sprach Papa, der seit der Heimreise kaum ein Wort mit ihr wechselte, kein einziges Mal.
Auch die zahlreichen Briefe, die letzte Woche eingetroffen waren, hatten Diana nicht überrascht. Sie nahm sich vor, sie nicht zu lesen. Selbstverständlich tat sie es trotzdem. Immer wieder. Keinesfalls würde sie die Ergüsse behalten.
Weitere Kostenlose Bücher