Eine geheimnisvolle Lady
und zu entführen, wenn sie in seine Reichweite geriet. Jede Minute ohne sie erhöhte dieses Risiko. Hoffentlich schlummerte in seiner wilden Barbarenseele noch eine letzte Spur von Zivilisation. Doch er würde nicht darauf wetten.
Wann immer er Männer beobachtet hatte, die sich wegen einer Frau zum Narren machten, war es ihm rätselhaft gewesen, wie die armen Kerle in einen solchen Zustand geraten konnten. Jetzt wusste er es zu seinem Leidwesen.
Bei seiner neuerlichen Ankunft in Marsham hatte er seine Wut lange genug gezügelt, um eine Strategie zu ersinnen. Weder Dianas Vater noch Burnley durften ihn entdecken. Zudem musste er befürchten, sie würde fliehen, wenn sie merkte, dass er ihr hierher gefolgt war. Unter falschem Namen quartierte er sich in einem Gasthof im Nachbardorf ein. Während er in den Büschen Wache hielt, schickte er seinen Kammerdiener nach Marsham, mit dem Auftrag, Getränke in der Taverne auszugeben und möglichst viele Informationen über Burnley, dessen Verwalter und – am wichtigsten – Mrs. Carrick zu sammeln.
Bisher hatte der Kammerdiener unglücklicherweise nicht viel erfahren, was Dianas Geschichten widersprach. Auch den angeblichen Bräutigam machte er nicht ausfindig. In dieser Gegend war der Marquess of Burnley der einzige schwerreiche Mann. Diana verwaltete die Ländereien tatsächlich, offiziell als Assistentin ihres Vaters. Wie der Diener erwähnte, wurden in der Taverne wahre Lobeshymnen auf die Klugheit und den Fleiß der jungen Mrs. Carrick gesungen. Solche glorreichen Berichte waren unwillkommen, denn Ashcroft suchte einen Vorwand, um Diana zu hassen und die verdammte Faszination zu überwinden, die ihn immer noch quälte, obwohl sie ihn so schändlich behandelt hatte. Trotzdem schien sie genau das zu sein, was sie behauptete – eine Witwe vom Lande, in einer respektablen, aber keineswegs spektakulären Position. Deshalb blieben die modischen Kleider und das hübsche kleine Haus in Chelsea ein dunkles Rätsel.
Unablässig peinigten ihn die Fragen. Hatte der Marquess Dianas Aufenthalt in London finanziert? Oder ihr mysteriöser Verlobter? In beiden Fällen – warum?
Wie auch immer, Ashcroft traute ihr nicht zu, von einem Mann Geld zu nehmen und sofort ins Bett eines anderen zu springen. Was Frauen betraf, war er stets ein Zyniker gewesen. Das hatten seine frühen, umfangreichen erotischen Erfahrungen bewirkt. Aber Diana strahlte irgendetwas aus, was seine Zweifel an ihrer Bestechlichkeit oder hemmungslosen Wollust weckte.
Was war er doch für ein leichtgläubiger Idiot.
Auch andere Faktoren, wie der vorzeitige Tod ihres Ehemanns, stellten sich als Tatsachen heraus. Nach Ansicht der Dorfbewohner hatte in dieser Ehe sie die Hosen getragen. Allerdings war William Carrick ein guter, anständiger Mann gewesen, und die beiden hatten sich sehr nahegestanden. Als der Kammerdiener das erwähnte, knirschte Ashcroft grimmig mit den Zähnen. Im Grunde genommen war der arme Bursche zu jung gestorben und hatte eine liebevolle, trauernde Ehefrau hinterlassen. Also verdiente er eher Mitgefühl als heiße Eifersucht.
An eine Buche gelehnt, verschränkte Ashcroft seine Arme vor der Brust. Missmutig spähte er durch das Laub zu dem Haus hinüber, das der Verwalter von Cranston Abbey mit seiner schönen Tochter bewohnte. Dieses Anwesen lag am Rand des Landguts, auf Deans Grund und Boden. Ein hübsches, bescheidenes Gebäude aus dem vorigen Jahrhundert. Dahinter erhob sich der quadratische Turm der Dorfkirche.
Natürlich hatte er Diana seit seiner Ankunft schon öfter gesehen. Doch niemals allein. Und er musste allein mit ihr reden. Trotz seines Unmuts und seiner Verwirrung wollte er ihren Ruf in diesem Dorf nicht ruinieren. Noch ein Zeichen, wie sie seinen Willen unterminierte. Zur Hölle, eigentlich müsste er diese Hexe für ihre Lügen bestrafen.
Welche Interessen sie in London verfolgt hatte, konnte er sich noch immer nicht vorstellen. Und das musste er wissen.
Wie um seine düstere Stimmung zu verhöhnen, schien die Sommersonne strahlend vom Himmel herab. Und so wunderte er sich nicht, als Diana und ihr Vater aus dem Haus traten. Fürsorglich half sie ihm in einen Sessel. Bei ihrem Anblick pochte Ashcrofts Puls sofort schneller. Trotz der Entfernung war den Gesten der beiden anzumerken, dass John Dean seiner Tochter noch immer nicht verziehen hatte.
Der alte Spaniel – inzwischen ebenfalls ein vertrauter Anblick – ließ sich an John Deans Seite nieder. Nicht zum ersten
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