Eine geheimnisvolle Lady
Derzeit lagen sie unter ihrem Kissen, zerknittert und mit den Tränen befleckt, die sie in der Einsamkeit ihres Schlafzimmers vergoss. Wie dumm. Wie sinnlos. Wie pubertär.
Jeden Abend verschlang sie die immer eindringlicheren Forderungen, sie möge nach London zurückkommen. Jedes Wort kannte sie auswendig. Kein Wunder, dass Ashcroft ihr nicht aus dem Kopf ging. Wie eine Trunksüchtige führte sie sich auf, die genau wusste, sie würde vom Alkohol Migräne bekommen, und trotzdem ständig nach der Sherryflasche griff.
Immerhin beantwortete sie die Briefe nicht, weil sie es besser wusste. Als keine Briefe mehr kamen, sagte sie sich, das sei unvermeidlich gewesen. Offenbar hatte er eine andere Frau gefunden, die seine atemberaubende Leidenschaft genoss, und Diana war gerettet. Nie wieder würde er sie peinigen, und in ein paar Monaten würde er sich wahrscheinlich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern.
Inbrünstig hatte sie gehofft, dieser Gedanke würde sie ein bisschen aufrichten.
Nach wie vor störten die Träume ihre Nachtruhe. In ihrem Leben fehlte irgendetwas Essenzielles, und sie musste es möglichst schnell finden, bevor sie vollends zu funktionieren aufhörte.
Und jetzt? Kaltes Entsetzen stieg in ihr auf, als sie ihn plötzlich wiedersah – in der Nähe von Marsham, von Cranston Abbey, von Lord Burnley. Zur Hölle mit Ashcroft! Sie hatte ihn verlassen. Warum fand er sich nicht damit ab?
»Was machst du hier?« Ihre Stimme zitterte vor Zorn. Vor Zorn und Trauer, und sie hoffte, er würde ihr nicht anmerken, wie verwirrt sie war. Leise winselte Rex zu ihren Füßen.
In vertrauter Weise zog Ashcroft die Brauen hoch. »Ist das nicht offensichtlich? Du musst einige Fragen beantworten. Fangen wir mit dem Zweck deines Besuchs in London an. Wer hat dein Haus und die Kleider bezahlt? Warum hast du mich verführt?«
Als hätte er nichts gesagt, erklärte sie atemlos: »Ich will dich nicht sehen.«
Obwohl ihre Blicke ihn verschlangen wie das einzige Licht an einem langen, dunklen Wintertag.
Seit der Trennung hatte sie in Gedanken jede gemeinsame Stunde noch einmal erlebt. Und jetzt, wo er vor ihr stand, durchschnitten die Einzelheiten ihr Herz wie Glassplitter. Die Konturen seines Kinns, der träge Glanz in den grünen Augen, die hochgewachsene Gestalt. Nach wie vor war er der einzige Mann, der ihr das Gefühl verlieh, sie wäre zierlich und feminin. Und sein lockendes Lächeln, als teilten sie einen Scherz, den die restliche Welt niemals ganz verstehen würde.
»Wie bedauerlich.« Im Gegensatz zu ihrer Stimme klang seine ruhig und entschieden. »Weil ich dich nämlich sehen will.«
Sein durchdringender Blick erinnerte sie an seine äußerste Konzentration, wenn er sein Verlangen stillen wollte. Beim Gedanken, von ihm berührt zu werden, leckte sie über ihre Lippen. Inständig verlangte es sie danach, wenn es auch neue Katastrophen heraufbeschwören würde. Bevor er von anderen Leuten entdeckt wurde, musste sie ihn loswerden. »Komm, Rex«, befahl sie tonlos, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon, gefolgt von dem hinkenden Hund.
»Oh nein, du bleibst hier!« Ashcroft sprang vor, umfasste ihren Arm und zwang sie, stehen zu bleiben. Sofort knurrte der Spaniel.
»Still, Rex.« Dann wandte Diana sich zu Ashcroft. »Lass mich los.«
Ohne ihre Worte zu beachten, fragte er: »Hast du meine Briefe bekommen?«
»Ja.« Herausfordernd starrte sie ihn an und bekämpfte die Sehnsucht, die seine Nähe in ihr entfachte.
»Und?« Seine Finger umschlossen ihren Arm noch fester.
Das Kinn erhoben, versuchte sie unerbittlich zu wirken. Stattdessen erweckte sie den Eindruck eines schmollenden kleinen Mädchens. »Nichts und. Ich zerriss sie und warf sie ins Feuer.«
Belustigt verzog er die Lippen. »Ein grausames Schicksal für meine Briefe. Wolltest du sie nicht lesen?«
Konnte sie ihm verübeln, dass er ihr nicht glaubte? Die gestapelten Briefe in ihrem Schlafzimmer waren Beweis für die Lüge. »Nein. Woher wusstest du, dass ich heute hier sein würde?«
Bei einem weniger selbstsicheren Mann würde die Miene, die sie jetzt sah, Verlegenheit bekunden. »Ich habe drei Tage lang gewartet.«
Erschrocken starrte sie ihn an. »Was?«
Immer noch unbehaglich, zuckte er die Achseln. »Du hast nicht auf meine Briefe geantwortet.«
Oh, Ashcroft …
Vor Liebe und Schuldbewusstsein fühlte sie sich so elend, dass ihr Herz zu brechen drohte. Sie biss auf ihre Lippen, schaute weg und kämpfte mit den Tränen.
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