Eine geheimnisvolle Lady
Danach konzentrierte er sich auf sein nächstes Ziel. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie den Marquess genauso gut kannte wie ihren Vater. Und sie wünschte, diese Vertrautheit wäre mit Hochachtung verbunden. Doch er saß wie eine Spinne in seinem Netz und wartete auf die glücklose Fliege, die in seine Falle geraten würde. Und Diana spielte unweigerlich die Fliege, wenn sie mit Burnley zu tun hatte.
Seine Hand krallte sich um den Griff des Gehstocks. »Haben Sie von Lord Ashcroft gehört?«
Verwirrt zuckte sie zusammen. Dieser Name zerriss den Schleier der dumpfen Trauer, ehe sie sich sagte, sie dürfe ihre Verletzlichkeit nicht verraten. Um ein unglückliches Stöhnen zu unterdrücken, presste sie die Lippen zusammen. Blindlings starrte sie das schöne Haus an, das sie in diese beklagenswerte Situation gebracht hatte. Doch die Schuld lag bei ihr, bei ihrer Habgier und Arroganz. Cranston Abbey bestand nur aus Ziegeln und Mörtel, sie selbst aus Fleisch und Blut, sie besaß ein Herz und eine Seele. Und ihre Sünden hatten beides zerstört.
»Ich wollte Sie nicht ins Unglück stürzen, Mrs. Carrick«, sagte Lord Burnley mit der gütigsten Stimme, die sie jemals aus seinem Mund gehört hatte.
Wie Fäden auf einer Spule spannten sich ihre Nerven an. Aber sie bemühte sich um einen gleichmütigen Ton. »Nein, ich habe keine Nachricht von Lord Ashcroft erhalten.«
»Und Ihre Zukunft, Diana?« Wie besorgt Burnleys Stimme klang. Dieser neuen Version ihres Arbeitgebers misstraute sie. Aber seine Frage war verständlich. Sie starrte auf ihre Finger hinab, die sie im Schoß ineinandergeschlungen hatte. Lose hing der Ehering an ihrer linken Hand. Seit der Rückkehr nach Marsham hatte sie Gewicht verloren.
»Das habe ich noch nicht entschieden«, sagte sie leise.
Ungeduldig seufzte er. Jetzt glich er wieder dem Mann, den sie kannte. »Sie dürfen nicht nur an sich selbst denken«, mahnte er.
Eine Drohung? Sie staunte ohnehin, weil er ihre Familie noch nicht benutzt hatte, um sie gefügig zu machen. »Auch an meinen Vater und Laura, ich weiß.«
»Und an das Kind.«
27
Burnleys Worte brachten Diana so abrupt zum Schweigen, als hätte er eine Axt vor ihren Augen geschwungen.
Natürlich, das Kind, das jeden Morgen eine beklemmende Übelkeit verursachte, das unaufhaltsam in ihr heranwuchs, das aus Lügen und Verrat entstanden war. Und aus atemberaubender Freude.
Gedankenverloren strich sie über ihren Bauch, als wollte sie sich mit ihrem Baby verständigen. Noch wusste ihr Vater nichts von der Schwangerschaft. Aber Laura musste es bemerkt haben, denn die Anzeichen waren unverkennbar. Bisher hatte die Freundin nicht darüber gesprochen.
Auch Diana hatte ihren Zustand nicht mehr erwähnt seit jenem Tag, an dem Ashcroft die Wahrheit intuitiv geahnt hatte. Und Burnley war dem Thema ausgewichen, als er sie ersucht hatte, das Hochzeitsdatum festzusetzen.
Dumm, dumm, dumm. Glaubte sie etwa, das Baby würde verschwinden, wenn sie nicht davon redete?
Wach auf, Diana!
Weil das Baby nun einmal existierte, durfte sie nicht länger in dieser dumpfen, leidenden Trance verharren, ihre Zukunft nicht so passiv betrachten wie eine Kuh, die zur Schlachtbank geführt wurde. Bald würde die Zukunft an die Tür klopfen und eine Entscheidung fordern. Allein schon Lord Burnleys Anwesenheit an ihrer Seite bedeutete, dass sie handeln und irgendeinen Weg wählen musste.
»Ja, das Kind«, bestätigte sie ausdruckslos, ein Eingeständnis ihrer Niederlage.
Der alte Mann erschien ihr zugänglich wie nie zuvor. Ihr Blick fiel auf seine Finger, die den Stock festhielten. Mochte er auch entspannt aussehen, sein Griff wirkte krampfhaft und leidvoll. Und die dünne, klauenartige, fast durchsichtige Hand gehörte eher dem Tod an als dem Leben. »Ich glaube, ich habe Ihnen ein großes Unrecht zugefügt, Diana«, bemerkte er, weil sie nicht weitersprach.
Normalerweise wurden Fragen von Gut oder Böse nicht zwischen ihnen erörtert. Sie starrte ihn verblüfft an. Aber statt ihren Blick zu erwidern, betrachtete er das grandiose Haus, so wie sie vor wenigen Minuten.
Was immer Burnleys Seele befleckte, ihre eigene war zu schwarz, um eine weitere Lüge zu verkraften. »Nein, das tat ich selbst.«
In schlaflosen Nächten hatte sie genug Zeit für Schuldzuweisungen gefunden. Dank ihrer angeborenen Ehrlichkeit erkannte sie ihre Schwäche, die zu der gegenwärtigen Situation geführt hatte. Niemals hätte der Marquess sie zum Verkauf ihrer Tugend
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