Eine geheimnisvolle Lady
Tag überlegte Diana, ob die Skepsis ihrer Adoptivschwester vielleicht kluge Voraussicht gewesen war.
Für Geheimnisse und Lügen fühlte Diana Carrick sich nicht geeignet. Ohne Gefühle konnte sie ihren Körper nicht hingeben. Sie konnte nicht niederträchtig auf den Rechten eines guten, ehrbaren Mannes herumtrampeln. Als Verschwörerin war sie ein krasser Fehlschlag.
»Alles Lüge«, murmelte sie und stieß die Hintertür auf.
»Redest du neuerdings mit dir selbst?«, fragte Laura aus den Schatten neben dem Eingang.
Verwirrt wich Diana zurück. Obwohl Licht aus dem Haus fiel, hatte sie die Freundin nicht gesehen. »Was machst du hier draußen?«
»Lord Burnley will dich sehen«, erklärte Laura und betrat den hinteren Flur.
Die Stirn gerunzelt, folgte ihr Diana. »Ist er in London?«
»Nein, in Surrey.«
»Es ist schon so spät.«
»Nun, du kennst Seine Lordschaft. Wenn er etwas will, wartet er nicht.« Laura hielt erschrocken den Atem an, als Diana an ihr vorbeiging. »Wie du aussiehst …«
Errötend verschränkte Diana zitternde Arme vor ihrer Brust. Aber damit konnte sie nicht verbergen, dass sie kein Korsett trug und ihr Kleid kaum zugeknöpft war. Wie so oft in den letzten Jahren nahm sie Zuflucht zu praktischen Dingen. »In diesem Zustand kann ich nicht nach Marsham fahren. Wen hat Burnley hierhergeschickt?«
»Fredericks.«
Dieser Mann war der Vorgesetzte aller Lakaien. Unfehlbar loyal und gehorsam, ein kräftiger Rüpel, der Burnleys Drecksarbeit erledigte. »Wie lange ist er schon hier?«
Glücklicherweise verstand Laura den Wink mit dem Zaunpfahl und verfolgte das Thema von Dianas derangierter äußerer Erscheinung nicht weiter. »Ungefähr eine Stunde.«
»Wo ist er jetzt?« Diana nahm ihren Hut ab, ihr Haar fiel auf die Schultern – noch ein Hinweis auf die Ereignisse des Nachmittags.
»In der Küche. Da habe ich ihn zum Abendessen hingeschickt.«
Diana raffte ihre zerknüllten Röcke und eilte zur Hintertreppe. »Ich werde mich sofort umziehen.«
»Brauchst du Hilfe?«
Was sie brauchte, waren ein ausgiebiges Bad und einen erholsamen Nachtschlaf – und ein paar Stunden ohne qualvolle Gewissensbisse. Oder eine Rückkehr in die Zeit, bevor der Teufel ihr alles geboten hatte, was sie ersehnte, wenn sie nur eine kleine Sünde beging, die niemandem schaden würde …
Eine kleine Sünde, die sie jetzt zu vernichten drohte.
»Nein, ich komme zurecht«, erwiderte sie mit halb erstickter Stimme. Wie absurd, dass sie den Tränen nahe war! Was sie an diesem Tag getan hatte, rückte ihren Wunschtraum in Reichweite. Daran musste sie denken, nicht an das Glück in Ashcrofts Armen.
Bevor sie die Treppe hinaufstieg, berührte Laura ihren Arm. »Hat er dir wehgetan?«, fragte sie leise.
»Nein.«
Seit Burnley mit seinem Projekt an Diana herangetreten war, hatte Laura diverse potenzielle Gefahren aufgezählt, inklusive der Möglichkeit, Lord Ashcroft könnte gewalttätig sein.
Nun wünschte Diana, er wäre nicht so behutsam mit ihr umgegangen, wäre nicht so entschlossen gewesen, sein Verlangen zu zügeln und ihre Erfüllung anzustreben. Irgendetwas musste sie doch finden, was ihr an ihm missfiel.
Immerhin schade ich ihm nicht.
Ständig hatte sie sich das vorgesagt. Aber damit verdrängte sie ihre Schuldgefühle nicht. Vor der Begegnung hatte sie zuversichtlich geglaubt, sie wäre immun gegen ihn. Das konnte sie sich nicht mehr einreden, seit sie seinen sinnlichen Geruch eingeatmet, seine glatte Haut berührt und seinem heiseren Schrei auf dem Weg zu den Sternen gelauscht hatte.
»Bist du sicher?« Laura hielt ihren Arm immer noch fest, obwohl sie beide wussten, wie ungern Burnley wartete. »Irgendwie bist du verändert.«
Diana schüttelte die Hand ihrer Freundin ab und lächelte freudlos. »Natürlich bin ich verändert. Ich habe mich soeben prostituiert, um das Leben einer Marchioness zu führen.«
»Oh Gott …« Bestürzt zog Laura die fein gezeichneten Brauen zusammen. »Also hast du mit ihm geschlafen?«
Mit einer spöttischen Geste zeigte Diana auf ihre unordentliche Kleidung. »Ist das nicht offensichtlich?«
Aus Lauras Gesicht wich alle Farbe. »Ich dachte, wenn der Moment kommt, würdest du dich anders besinnen.«
Was die Freundin wirklich meinte, wusste Diana. Sie hatte gehofft, ein Rest von Tugend würde sich in Diana aufbäumen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Viel zu weit war sie schon auf Lord Burnleys luxuriösem Weg zur Hölle vorangekommen. Und sie konnte Laura nicht
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