Eine geheimnisvolle Lady
anvertrauen, wie heiß sie Ashcroft begehrte, dass sie ihre verwerflichen Pläne beinahe vergaß, sobald er sie berührte. Eine unerträgliche Tatsache … Denn ihre echte Leidenschaft beschmutzte das Täuschungsmanöver umso nachhaltiger. Sie fühlte sich wie eine richtige Dirne.
»Nein, ich habe es getan«, entgegnete sie kurz angebunden. Dann wandte sie sich ab und stieg zielstrebig die Treppe hinauf. »Bitte sag Fredericks, ich bin in zwanzig Minuten fertig.«
»Wie du willst.« In Lauras kühler Stimme schwangen all die ungesagten Worte mit. Doch sie sprach sie nicht aus, und Diana dankte dem Himmel dafür.
11
Lord Burnleys Kutsche rollte zwischen den imposanten steinernen Torpfosten hindurch, die eine der Grenzen des Landguts Cranston Abbey markierten. In einigen aufwühlenden Stunden hatte Diana sich auf den Grund ihrer Reise nach London besonnen und ihre Gefühle etwas besser unter Kontrolle gebracht. Dabei half ihr jede Meile, die sie sich von Lord Ashcroft entfernte.
Ehe sie dem Projekt zugestimmt hatte, war ihr bewusst gewesen, dass sie stark sein musste. Nun brauchte sie größere Kräfte als erwartet – ein Problem, aber keine Katastrophe. Sie musste nur vorsichtig sein. Niemals durfte Ashcroft herausfinden, was sie plante. Die Liaison würde ein natürliches Ende erreichen, wie alle seine Affären. Danach würde er sich auf seine nächste Eroberung konzentrieren, sie wäre eine Marchioness und konnte, zusammen mit ihrem Kind, einer erfreulichen Zukunft entgegenblicken. Ganz einfach.
An ihrem ursprünglichen Arrangement mit Burnley änderte sich nichts. Ihre Beziehung zu Ashcroft war komplizierter – und aufregender –, als sie es vermutet hatte. Doch das beeinflusste weder ihre Mission noch den Lohn, den sie erringen würde, wenn sie ihren ganzen Mut zusammennahm.
Über dem dichten Wald, der die Hügel hinter der Abbey bedeckte, wanderte ein heller Dreiviertelmond am klaren Himmel dahin. Doch sie benötigte sein Licht nicht, um zu sehen, wo sie sich befand. Diesen Ort kannte sie so gut wie keinen anderen auf der Welt, denn das Landgut war wie ein Teil ihres Herzens.
Erleichtert beugte sie sich aus dem Wagenfenster und sog die saubere Landluft tief in die Lungen, um ihre Nerven zu beruhigen. Der Duft von Cranston Abbey füllte ihre Sinne. Fruchtbare Erde. Die Feuchtigkeit des Sees, wegen des heißen Wetters kaum wahrnehmbar. Und frisch gemähtes Heu.
Aber das Glück der Heimkehr wurde getrübt. Unter den vertrauten Düften lauerte ein anderes Aroma und erinnerte sie daran, dass sie nicht mehr die Frau war, die durch dieses Tor die Fahrt nach London angetreten hatte. Vor der Abreise aus Chelsea hatte sie sich gewaschen. Trotzdem hafteten Spuren von Ashcroft an ihrer Haut, in ihrem Haar. Als wäre er hier, bei ihr.
Ihr Täuschungsmanöver vergiftete die Atmosphäre des Anwesens, das stets ihr sicherer Hafen gewesen war. Für alle Zeiten? Oder würde die Magie von Cranston Abbey die Gewissensbisse mildern? Wie auch immer, das Landgut war die Seelenqual wert. Das sagte sie sich unentwegt, wie in einem stummen Gebet, während die Kutsche der langen, von Bäumen gesäumten Zufahrt folgte. Nach einer Biegung tauchte das Haus auf und sprang – wie vom genialen Architekten und Landschaftsgärtner geplant – sofort wie ein Wunder ins Auge.
Gleichgültig, wie oft Diana dieses Wunder betrachtete, es verzauberte sie immer wieder. In einem seichten Tal ragte das barocke Gebäude auf, schien sie willkommen zu heißen und ihr zu bedeuten, es hätte sie vermisst und sie sollte sich hinter der eleganten Fassade geborgen fühlen. Ihr Leben lang hatte sie Cranston Abbey vergöttert, in der Kindheit intuitiv, die mutterlose Tochter des Verwalters, von den Bewohnern dieses Königreichs umsorgt. Erst später hatte sie verstanden, wie glücklich sie sich schätzen musste, weil dies ihr Heim war.
Mit neunzehn hatte sie William geheiratet, aus Liebe.
Aber wäre er nicht Lord Burnleys Sekretär und Bibliothekar gewesen, an das Landgut gebunden, hätte sie seinen Antrag vielleicht abgelehnt. Davor hatte sie mehrere Heiratsanträge erhalten und alle Bewerber abgewiesen, mit der Begründung, ihr Vater würde sie brauchen. Ihre Liebe zur Abbey war übermächtig, unbesiegbar, voller Selbstaufopferung, und im Lauf der Jahre noch gewachsen.
Doch diese Liebe war stets mit einer gewissen Bitterkeit verbunden. Wenn sie dem Landsitz auch ihr Leben weihte, sie hätte immer nur beanspruchen können, was ihr Arbeitgeber
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