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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Menschenwesen, an dem er seitdem Anteil genommen und das den Platz wieder verlassen, hatte den Tod auf dem Schafott gefunden.
    Man tauschte hastig ein freundliches Lebewohl aus; aber
das Abschiednehmen war bald vorüber. Es gehörte ja zu den alltäglichen Ereignissen, und die Gesellschaft in La Force hatte mit Vorbereitungen zu einem Pfänderspiel und einem kleinen Konzert für den Abend zu schaffen. Sie drängten sich wohl an die Gitter und vergossen da einige Tränen; aber bei der in Aussicht genommenen Unterhaltung gab es zwanzig Plätze auszufüllen, und die Zeit war so kurz bis zur Schlußstunde, nach der die gemeinsamen Räume und Gänge den großen Hunden überantwortet wurden, die hier während der Nacht Wache hielten. Die Gefangenen waren gewiß nicht unempfindlich oder gefühllos; aber sie wollten die ihnen so kurz zugemessene Zeit ausnutzen. In ähnlicher Art, obschon mit einem feinen Unterschied, ließen sich bekanntlich, ohne Zweifel in einer Art Fieber oder Trunkenheit, manche hinreißen, der Guillotine unnötig zu trotzen und sich von ihr verschlingen zu lassen, sicherlich nicht aus bloßer Prahlerei, sondern angesteckt von der wilden Zerrüttung, die allgemein die Gemüter befallen hatte. In Pestzeiten haben manche Leute eine besondere Empfänglichkeit für die Krankheit, eine schrecklich anziehende Neigung, an ihr zu sterben. Wir alle tragen so wunderliche Möglichkeiten in unserer Brust, und es bedarf nur des Anlasses, um Wirklichkeiten daraus zu machen.
    Der Korridor zu der Conciergerie war kurz und dunkel, die Nacht in ihren von Ungeziefer wimmelnden Zellen lang und kalt. Am andern Tage hatten fünfzehn Gefangene vor Gericht zu erscheinen, ehe Charles Darnays Name an die Reihe kam. Alle fünfzehn wurden zum Tode verurteilt, die Verhandlungen hatten im ganzen anderthalb Stunden gedauert.
    Charles Evrémonde, genannt Darnay, wurde endlich vorgeführt.
    Die Richter auf der Bank hatten Federhüte auf; sonst herrschte die grobe rote Mütze mit der dreifarbigen Kokarde als Kopf
bedeckung vor. Die Männer waren großenteils in verschiedener Weise bewaffnet; von den Weibern trugen einige Messer, die anderen Dolche, die einen aßen und tranken während des Zuhörens, andere strickten. Unter diesen befand sich eine, die bei ihrer Arbeit noch ein unbenutztes Strickzeug unter dem Arme hatte. Sie saß in einer vorderen Reihe an der Seite eines Mannes, den Darnay seit seiner Ankunft an den Toren von Paris nicht mehr gesehen hatte und in dem er sogleich Defarge wiedererkannte. Er bemerkte, daß sie ihm ein- oder zweimal ins Ohr flüsterte und daß sie allem Anschein nach sein Weib war; am meisten aber fiel ihm an den beiden auf, daß sie, obwohl sie sich möglichst in seine Nähe gedrängt hatten, doch nie nach ihm hinsahen. Sie schienen mit trotziger Entschlossenheit auf etwas zu warten und für nichts als für die Geschworenen ein Auge zu haben. Unter dem Präsidenten saß Doktor Manette in seinem gewöhnlichen schlichten Anzug. Soviel der Gefangene wahrnehmen konnte, waren er und Mr. Lorry die einzigen nicht zum Gerichtspersonal gehörenden Männer, die ihre gewöhnlichen Kleider trugen und nicht das grobe Gewand der Carmagnole. Charles Evrémonde, genannt Darnay, wurde von dem öffentlichen Ankläger als ein Emigrant bezeichnet, dessen Leben an die Republik verwirkt sei kraft des Dekrets, das alle zurückkehrenden Emigranten zum Tode verurteilte. Es wurde als belanglos angesehen, daß das Dekret erst in die Zeit nach seiner Rückkehr fiel. Er war da, das Gesetz war da, man hatte ihn in Frankreich aufgegriffen, und sein Leben wurde gefordert.
    »Zur Guillotine mit ihm!« rief das Publikum. »Ein Feind der Republik!«
    Der Präsident klingelte, um die Lärmenden zum Schweigen zu bringen, und fragte den Gefangenen, ob es wahr sei, daß er viele Jahre in England gelebt habe.
    Es wurde nicht geleugnet.
    Und dennoch wollte er kein Emigrant sein? Als was er sich denn bezeichne?
    Nicht als einen Emigranten im Sinn und Geist des Gesetzes, das hoffe er.
    Warum nicht? wünschte der Präsident zu wissen.
    Weil er freiwillig eine Stellung und einen Titel aufgegeben habe, der ihm verhaßt geworden; er habe sein Vaterland verlassen, ehe das Wort Emigrant in dem Sinne, den es jetzt habe, vor Gericht üblich war, weil er lieber von seinem eigenen Fleiß in England als von dem des mit Lasten überhäuften Volkes in Frankreich leben wollte.
    Welche Beweise konnte er dafür beibringen?
    Er nenne die Namen von zwei Zeugen:

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