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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Empfänglichkeit für Gefühle der Großmut und des Erbarmens an den Tag legte. Kaum war die Freilassung ausge
sprochen, als Tränen so reichlich flossen wie zu anderen Zeiten Blut und der Gefangene von den Männern und Weibern, die an ihn gelangen konnten, mit so vielen brüderlichen Umarmungen beehrt wurde, daß er nach seiner langen und ungesunden Haft in Gefahr kam, vor Erschöpfung ohnmächtig zu werden, um so mehr, da er recht wohl wußte, wie bereit und eifrig bei einer anderen Wendung dasselbe Volk sich gezeigt haben würde, ihn in Stücke zu reißen und seine Gliedmaßen durch die Straßen zu streuen.
    Er mußte jetzt anderen Angeklagten Platz machen, die abgeurteilt werden sollten, und sein Abtreten bewahrte ihn für einen Augenblick vor der Fortsetzung dieser Liebkosungen. Es kamen fünf zu gleicher Zeit an die Reihe, die als Feinde der Republik verurteilt wurden, weil sie ihr nicht durch Wort oder Tat Beistand geleistet hatten. Das Tribunal beeilte sich so sehr, sich und die Nation für die entgangene Augenweide zu entschädigen, daß diese fünf, die bestimmt waren, binnen vierundzwanzig Stunden hingerichtet zu werden, herunterkamen, ehe noch Darnay den Platz verlassen hatte. Der erste von ihnen teilte ihm sein Schicksal mit dem unter den Gefangenen üblichen Zeichen, einem aufgehobenen Finger, der ›Tod‹ bedeutete, mit, während alle die Worte hinzufügten: »Lang lebe die Republik!«
    Die fünf hatten allerdings kein Publikum gehabt, durch das die Verhandlungen über sie verlängert worden wären; denn als Charles mit dem Doktor durch das Tor herauskam, traf er davor ein großes Gedränge, in dem sich alle Gesichter, die er im Gerichtssaal bemerkt hatte, zu befinden schienen, zwei ausgenommen, nach denen er sich vergeblich umsah.
    Bei seinem Heraustreten machte sich der Volkshaufe wieder an ihn, weinte, umarmte ihn, jubelte und tat alles dies abwechselnd und durcheinander, bis sogar der Fluß, an dessen
Ufer die tolle Szene spielte, toll zu werden schien wie die Menschen an seinem Ufer.
    Sie setzten ihn auf einen großen Sessel, den sie entweder aus dem Gerichtssaal selbst oder aus einem anderen Gelaß des Gebäudes mitgenommen hatten, ließen darüber eine rote Fahne flattern und schmückten die Lehne mit einem Spieß und der roten Mütze darauf. Vergeblich wehrte der Doktor bittend ab. Die Männer nahmen ihn samt diesem Triumphsessel auf die Schulter und trugen ihn nach Hause. Um ihn her wogte ein wildes Meer von roten Mützen und warf aus seiner stürmischen Tiefe solche gespenstische Gesichter in die Höhe, daß er mehr als einmal zweifelte, ob er auch wirklich bei Sinnen sei und ob er nicht auf dem Guillotinekarren dem Tode entgegenholperte.
    In wilder, traumartiger Prozession trugen sie ihn dahin, umarmten jedermann, dem sie begegneten, und zeigten aller Welt den Helden des Tages. Sie brachten ihn nach dem Hofe des Gebäudes, wo seine Gattin wohnte. Ihr Vater war vorausgegangen, um sie vorzubereiten, und wie Charles wieder auf eigene Füße zu stehen kam, sank sie ihm bewußtlos in die Arme.
    Während er sie an seine Brust gedrückt hielt und ihr schönes Antlitz das seine vor der Menge verbarg, so daß seine Tränen und ihre Lippen sich ungesehen begegnen konnten, fingen einige aus dem Haufen zu tanzen an. Im Nu hatte dieselbe Manie auch alle anderen ergriffen, und den Hofraum überflutete die Carmagnole. Sie setzten dann auf den frei gewordenen Sessel ein junges Frauenzimmer aus ihrer Mitte, um sie als Göttin der Freiheit umherzutragen. Und nun strömte und flutete es in die benachbarten Straßen hinaus, das Flußufer entlang und über die Brücke. Wer des Weges kam, wurde von der Carmagnole aufgenommen und mit fortgerissen.
    Charles drückte dem Doktor, der stolz und siegesbewußt
vor ihm stand, und Mr. Lorry, der atemlos sich der Springflut der Carmagnole entrungen hatte, die Hand, küßte die kleine Lucie, die man zu ihm emporgehoben, damit sie mit ihren Ärmchen seinen Hals umschlingen konnte, drückte die immer eifrige und treue Miß Proß, die ihm das Kind dargeboten, an sich und nahm seine Gattin in die Arme, um sie nach ihrer Wohnung hinaufzutragen.
    »Lucie! Mein Leben! Ich bin gerettet!«
    »Oh, mein treuer Charles, laß mich Gott auf den Knien dafür danken, wie ich zu ihm gebetet habe.«
    Alle beugten ehrfurchtsvoll die Häupter und die Herzen. Als er die Gattin wieder in seinen Armen hielt, sagte er zu ihr:
    »Und nun danke deinem Vater, meine Liebe! Kein anderer Mann in ganz

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