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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Frankreich hätte für mich tun können, was er tat.« Sie legte das Haupt an ihres Vaters Brust, wie er vor langer, langer Zeit seinen armen Kopf an die ihrige gelegt hatte. Er war glücklich, daß er es ihr vergelten konnte, fühlte sich belohnt für seine Leiden und war stolz auf seine Stärke.
    »Du mußt nicht schwach sein, mein Herz«, sagte er verweisend, »mußt nicht so zittern. Ich habe ihn gerettet.«
    Siebentes Kapitel
    Man pocht an die Tür
    ›Ich habe ihn gerettet.‹ Es war nicht einer von den Träumen, in die er so oft zurückverfallen. Nein; er war wirklich da. Und doch zitterte sein Weib, und eine unbestimmte Angst lastete schwer auf ihr.
    Die ganze Luft umher war so dick und düster, die Leute zeigten ein so fieberisches, leidenschaftlich rachsüchtiges Wesen,
die Unschuldigen wurden so beharrlich auf einen hohlen Verdacht hin zum Tode geschleppt, und es war so rein unmöglich, zu vergessen, wie viele Personen, nicht minder makellos als ihr Gatte, die von anderen ebenso geliebt wurden, wie sie ihn liebte, jeden Tag das Schicksal erleiden mußten, dem er mit knapper Not entgangen, daß ihr Herz sich nicht so frei und leicht fühlen konnte, wie es hätte sein sollen. Der Winterabend wollte schon in die Schatten der Nacht versinken, und noch immer rollten die schrecklichen Karren durch die Straßen. Ihr Geist folgte ihnen und schien ihn unter den Verurteilten zu suchen; dann schmiegte sie sich inniger an den Gegenwärtigen an und zitterte noch mehr.
    Ihr Vater, der ihr ermunternd zusprach, trug dieser weiblichen Schwäche gegenüber, über die er sich nicht genug wundern konnte, eine mitleidige Überlegenheit zur Schau. Kein Dachstübchen mehr, kein Schuhmachen, kein Hundertundfünf, Nordturm! Er hatte die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, vollbracht, sein Versprechen eingelöst und Charles gerettet. Alle konnten sich jetzt an ihn anlehnen.
    In ihrer Haushaltung ging es sehr ärmlich her – nicht nur, weil man dadurch am wenigsten beim Volke Anstoß erregte, sondern auch, weil sie nicht reich waren und Charles während seiner Gefangenschaft bedeutende Zahlungen hatte leisten müssen, für die eigene Kost und Bewachung sowohl wie für die der ärmeren Gefangenen. Zum Teil aus diesem Grunde, zum Teil, um keinen Spion im Hause zu haben, hielten sie keine Magd. Der Bürger und die Bürgerin, die am Hoftor das Pförtneramt hatten, leisteten ihnen gelegentlich Dienste, und Jerry, der von Mr. Lorry fast ganz an sie abgetreten worden, spielte den Bedienten und schlief bei Nacht im Hause.
    Auf Befehl der einen und unteilbaren Republik mit dem Motto ›Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder Tod‹ mußte
an der Tür oder dem Türpfosten eines jeden Hauses der Name der Bewohner mit leicht leserlicher Schrift von gewisser Größe in einer gewissen bequemen Höhe vom Boden angebracht sein. Mr. Jerry Crunchers Name schmückte daher gebührend den Türpfosten zuunterst, und bei einbrechender Nacht kam der Inhaber des Namens selbst zurück; er hatte einem Maler bei seiner Arbeit zugesehen, den Doktor Manette angewiesen hatte, der Liste den Namen Charles Evrémonde, genannt Darnay, beizufügen.
    Bei der allgemeinen Furcht und dem Mißtrauen, in dem man zu jener Zeit lebte, war auch eine Änderung in die gewöhnlichen harmlosen Haushaltungsgebräuche gekommen. In der kleinen Wirtschaft des Doktors wurden, wie in so vielen anderen, die Gegenstände des täglichen Verbrauchs jeden Abend in geringen Mengen aus verschiedenen kleinen Läden zusammengetragen; denn jedermann wollte Aufsehen vermeiden und so wenig wie möglich Anlaß zu Neid und Nachrede geben.
    Schon seit einigen Monaten hatten Miß Proß und Mr. Cruncher sich in das Geschäft des Einkaufens geteilt, wobei sie den Beutel führte und er den Korb trug. Sie traten jeden Abend, sobald man die Straßenlaternen anzündete, ihren Gang an, kauften das Nötige ein und brachten es nach Hause. Durch ihren langen Umgang mit einer französischen Familie wäre Miß Proß wohl in der Lage gewesen, das Französische so gut zu lernen, wie sie ihr Englisch kannte, wenn sie Lust dazu gehabt hätte; doch eben an der Lust fehlte es ihr ganz und gar, und so verstand sie von ›diesem Unsinn‹, wie sie es zu nennen beliebte, nicht mehr als Mr. Cruncher. Die Art ihres Einkaufens bestand darin, daß sie dem Krämer ohne näheres Eingehen auf die Beschaffenheit des gewünschten Artikels irgendeine Bezeichnung an den Kopf warf und, wenn es zufällig nicht
die rechte war, sich

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