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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Menschen, die Treppe hinauf. Als der Diener in das Zimmer trat, in dem ich mit meiner Frau saß – o Geliebte meines Herzens, mein junges, schönes englisches Weib!–, sahen wir den Mann, den wir an der Haustür vermuteten, schweigend hinter ihm stehen.
    Ein dringender Fall in der Straße Saint Honoré, sagte er. Ich würde nicht lange aufgehalten werden, er habe eine Kutsche bei sich.
    Sie brachte mich hierher, brachte mich in mein Grab. Ich hatte kaum meine Wohnung verlassen, als man mir einen Knebel dicht über dem Munde zusammenzog und meine Arme band. Die beiden Brüder kamen aus einem dunklen Winkel hervor über die Straße herüber und bezeichneten mich mit einer einfachen Gebärde als den Richtigen. Der Marquis nahm den von mir geschriebenen Brief aus seiner Tasche, zeigte ihn mir, verbrannte ihn an dem Licht einer Laterne, die man ihm vorhielt, und zertrat die Asche mit seinen Füßen. Kein Wort wurde gesprochen. Man brachte mich hierher und versenkte mich lebendig in mein Grab.
    Hätte es Gott gefallen, im Laufe dieser schrecklichen Jahre es einem der Brüder ans Herz zu legen, daß sie mir Kunde von meinem teuren Weibe zugehen ließen oder mich nur mit einem Wort von ihrem Leben oder Tod unterrichteten, so würde ich geglaubt haben, er habe sie nicht ganz verworfen. Jetzt aber lebe ich der Überzeugung, daß das Zeichen des blutigen Kreuzes ihnen zum Verderben gereicht und sie keinen Anteil haben an Gottes Erbarmen. Sie und ihre Abkömmlinge bis zum Letzten ihres Geschlechts lade ich, der unglückliche Gefangene Alexander Manette, in meinem namenlosen Jammer am letzten Abend des Jahres 1767 vor den Richterstuhl, der solche Taten richten wird. Ich klage sie an vor dem Himmel und vor der Erde.«
    Ein schreckliches Getümmel erhob sich, als die Verlesung dieses Dokuments zu Ende war. Ein gleichmäßiges hungriges Geschrei, in dem kein artikulierter Laut als das Wort Blut sich unterscheiden ließ. Die Erzählung hatte die rachgierigsten Leidenschaften der Zeit heraufbeschworen, und in dem
ganzen Volke gab es keinen Kopf, der nicht einer solchen Anklage gegenüber hätte fallen müssen.
    Einem solchen Tribunal und einer solchen Zuhörerschaft gegenüber war es überflüssig, zu erklären, daß die Defarges die Schrift nicht mit den anderen in der Bastille eroberten Denkschriften, die in Prozession herumgetragen wurden, veröffentlicht, sondern für sich behalten hatten, um eine günstige Zeit abzuwarten. Es war überflüssig, nachzuweisen, daß der Name jener verabscheuten Familie längst in Saint Antoine mit Fluch beladen und in die verhängnisvollen Listen eingetragen war. Es hat nie einen Menschen gegeben, der in was immer für Tugenden oder Verdiensten einen Schutz gefunden hätte gegen eine solche Anklage zu solcher Zeit und an einem solchen Platze.
    Und was das Schlimmste für den unglücklichen Gefangenen war: Der Ankläger war ein wohlbekannter Bürger, ein ihm treu anhängender Freund, der Vater seines Weibes. Als der Präsident sagte, der gute republikanische Arzt werde sich noch mehr um die Republik verdient machen durch Ausrottung einer gemeinschädlichen Aristokratenfamilie und ohne Zweifel eine heilige Wonne darin fühlen, seine Tochter zur Witwe und ihr Kind zu einer Waise zu machen, da wallte die patriotische Glut in wilder Erregung auf und erstickte jeden Hauch menschlicher Teilnahme.
    »Der Doktor hat vielen Einfluß«, murmelte Madame Defarge, der Rache zulächelnd. »Rette ihn jetzt, Doktor; rette!«
    Jeder Abstimmung eines Geschworenen folgte wilder Beifall. Wieder eine Stimme, und noch eine. Endlich: Einstimmig verurteilt. Im Herzen und von Herkunft ein Aristokrat, ein Feind der Republik, ein berüchtigter Bedrücker des Volkes. Zurück nach der Conciergerie und Tod binnen vierundzwanzig Stunden!
    Elftes Kapitel
    Dämmerung
    Das unglückliche Weib des unschuldig zum Tode verurteilten Mannes brach bei diesem Urteilsspruch zusammen, als sei sie selbst vom Todesstoß getroffen. Aber sie gab keinen Laut von sich, und die innere Stimme, die ihr vorstellte, daß in der ganzen Welt sie allein ihn in seinem Elend aufrechterhalten müsse und es nicht noch vergrößern dürfe, sprach so laut in ihr, daß sie sich rasch auch von diesem Schlage wieder erholte.
    Da die Richter an einer öffentlichen Kundgebung draußen teilzunehmen hatten, wurde die Gerichtsverhandlung ausgesetzt. Das Getümmel und Getöse, als das Volk durch die verschiedenen Gänge aus dem Saale hinausströmte, hatte noch nicht

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