Eine Geschichte aus zwei Städten
hörte auf den Atem der Patientin und umging so eine Antwort.
›Erweist Ihr mir die Ehre Eurer Aufmerksamkeit, Doktor?‹
›Monsieur‹, erwiderte ich, ›in meinem Berufe werden die Mitteilungen von Patienten stets als Vertrauenssache behandelt.‹ Ich war vorsichtig in meiner Antwort; denn was ich gesehen und gehört, hatte meinen Geist tief erschüttert.
Ihr Atem ging so unmerklich, daß ich sorgfältig ihren Puls und Herzschlag untersuchte. Leben war noch da, aber kaum fühlbar. Als ich meinen Platz wieder einnahm und mich umsah, bemerkte ich, daß die Brüder kein Auge von mir wandten. * * *
Das Schreiben wird mir schwer. Es ist so kalt, und eine Entdeckung würde mich einer unterirdischen Zelle und gänzlicher Finsternis überantworten. Ich muß daher aus Furcht vor diesem Schicksal meine Erzählung abkürzen. Mein Gedächtnis ist treu und frei von aller Verwirrung; ich kann mir jedes Wort, das zwischen mir und diesen Brüdern fiel, mit allen Einzelheiten vergegenwärtigen.
Sie lebte noch eine Woche. Gegen das Ende konnte ich einige Silben, die sie zu mir sagte, verstehen, wenn ich mein Ohr dicht an ihre Lippen hielt. Sie fragte mich, wo sie sei – ich sagte es ihr – und wer ich wäre; auch darüber gab ich ihr Auskunft. Vergeblich erkundigte ich mich nach ihrem Familiennamen; sie schüttelte matt den Kopf auf ihrem Kissen und bewahrte ihr Geheimnis, wie es der Bursche getan hatte.
Ich fand keine Gelegenheit, ihr Fragen vorzulegen, bis ich den Brüdern sagte, daß es rasch mit ihr zu Ende gehe und sie keinen Tag mehr leben werde. Bis dahin hatte, wenn ich da war, stets einer von ihnen argwöhnisch hinter dem Vorhang zu Häupten des Bettes gesessen, ohne sich übrigens der Kranken bemerkbar zu machen, die nur von meiner und der Frau Anwesenheit Kunde hatte. Nachdem es so weit gekommen war, schien es ihnen gleichgültig zu werden, was sie mir sagen
mochte, als ob sie – der Gedanke ging mir durch den Sinn – auch mich zu den Sterbenden zählten.
Ich bemerkte stets, wie sehr ihr Stolz fürchtete, es könnte ruchbar werden, daß der jüngere Bruder, wie ich ihn nenne, seinen Degen mit einem Bauern, der obendrein fast noch ein Knabe war, gekreuzt habe. Das Lächerliche und für die Familie Herabwürdigende dieses Vorfalls schien allein für sie von Gewicht zu sein. Ich begegnete oft den Augen des jüngeren Bruders und las darin tiefen Widerwillen gegen mich, weil er wußte, was der junge Mensch in meiner Gegenwart gesprochen hatte. Das entging mir nicht, obschon er sich glatter und höflicher gegen mich benahm als der Ältere. Aber auch diesem war ich offenbar lästig.
Meine Kranke starb zwei Stunden vor Mitternacht – meiner Uhr nach fast in derselben Minute, in der ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Ich war allein bei ihr, als das unglückliche junge Wesen sanft an meiner Seite niedersank und ihr Erdenleiden ein Ende nahm.
Die beiden Brüder warteten in einem unteren Zimmer ungeduldig, da sie fortreiten wollten. Ich hatte, während ich neben der Sterbenden saß, gehört, wie sie mit den Reitpeitschen an ihre Stiefel schlugen und im Zimmer auf und ab gingen.
›Ist sie endlich tot?‹ fragte der Ältere, als ich zu ihnen kam.
›Sie ist tot‹, lautete meine Antwort.
›Ich gratuliere dir, Bruder‹, sagte er und wandte sich um.
Er hatte mir schon früher Geld angeboten, das ich vorläufig ablehnte. Jetzt gab er mir eine Rolle mit Gold. Ich nahm sie und legte sie auf den Tisch. Nach reiflicher Erwägung des Falles war ich mit mir eins geworden, nichts anzunehmen.
›Ich bitte um Entschuldigung‹, sagte ich. ›Unter solchen Umständen, nein.‹
Sie sahen einander an, verbeugten sich aber gegen mich, als
ich ihnen mein Kompliment machte, und wir schieden, ohne ein weiteres Wort zu wechseln. * * *
Ich bin müde, müde, müde – aufgerieben von meinem Elend. Ich kann nicht lesen, was ich mit dieser abgezehrten Hand geschrieben habe.
Am anderen Morgen früh wurde die Goldrolle, die in ein Kistchen verpackt und an mich adressiert war, an meiner Tür abgegeben. Ich hatte von Anfang an ängstlich bei mir erwogen, was ich in dieser Angelegenheit zu tun habe. Jetzt entschied ich mich dafür, privatim an den Minister zu schreiben, ihn über die beiden Fälle, die mir bekannt geworden waren, zu unterrichten und ihm den ganzen Hergang zu melden. Wohl kannte ich den Hofeinfluß auf die Vorrechte des Adels und erwartete davon nichts anderes, als daß die Sache vertuscht bleiben werde;
Weitere Kostenlose Bücher