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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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hier ein Kampf stattgefunden.
    ›Sie hörte mich und kam herbei. Ich sagte ihr, sie solle sich fern halten, bis er tot sei. Er kam herein und warf mir anfangs einige Geldstücke zu; dann schlug er mich mit einer Peitsche. Aber ich, obschon ein gemeiner Hund, drang dermaßen auf ihn ein, daß er vom Leder zog. Mag er den Degen, den er mit meinem gemeinen Blut befleckte, in so viele Stücke zerbrechen, wie er will; er zog ihn, sich zu verteidigen, und brauchte alle seine Geschicklichkeit, um sein Leben zu schirmen.‹
    (Mein Blick war eben auf die Teile eines zerbrochenen Degens gefallen, die auf dem Heu lagen. An einer anderen Stelle bemerkte ich einen alten Säbel, der einem Soldaten gehört haben mochte.)
    ›Helft mir auf, Doktor; helft mir auf! Wo ist er?‹
    ›Er ist nicht hier‹, sagte ich, den Burschen unterstützend, in der Meinung, daß seine Frage sich auf den Bruder beziehe.
    ›Ha! So stolz diese Adligen sind, fürchtet er sich doch, mich zu sehen. Wo ist der Mann, der hier war? Wendet mein Gesicht ihm zu.‹
    Ich tat es, indem ich den Kopf des Burschen mit meinem Knie unterstützte. Aber er fühlte für einen Augenblick eine außerordentliche Kraft und richtete sich vollständig auf, so daß auch ich mich erheben mußte, wenn ich ihn nicht ganz sich selbst überlassen wollte.
    ›Marquis‹, sagte der Bursche, die großen Augen auf ihn gerichtet und seine Rechte erhoben, ›es kommt ein Tag, an dem für alle diese Dinge Rechenschaft abgelegt werden muß, und ich lade Euch dann bis auf den Letzten Eurer schändlichen Rasse vor, Rede zu stehen für Eure Untaten. Und für die Tage, da Rechenschaft abgelegt werden muß über all diese Dinge, lade ich Euern Bruder vor, den Schlimmsten Eurer schlimmen Rasse, daß er besonders sich dafür verantworte. Ich mache mit meinem Blut das Kreuz über ihn zum Zeichen, daß ich ihn vor Gottes Gericht verklagt habe.‹
    Er langte zweimal mit der Hand in seine Brustwunde und zeichnete mit dem Zeigefinger ein Kreuz in die Luft. So blieb er mit ausgestrecktem Finger noch einen Augenblick stehen; und als die Hand sank, brach er auch zusammen. Ich legte ihn tot auf die Streu nieder. * * *
    Als ich an das Lager des jungen Weibes zurückkehrte, fand ich sie ganz in ihrem alten Zustand. Ich wußte, daß dieses Rasen noch viele Stunden anhalten konnte und wahrscheinlich nur mit der Stille des Grabes endigte.
    Ich gab ihr wieder Arznei und blieb bis tief in die Nacht hinein neben ihr sitzen. Das Geschrei war so durchbohrend wie immer und auch in der Deutlichkeit und in der Ordnung der Worte trat kein Wechsel ein. Sie lauteten stetig: ›Mein Mann, mein Vater und mein Bruder! Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf. Pst!‹
    Dies währte von der Zeit meiner Ankunft an gerechnet sechsundzwanzig Stunden. Ich hatte mich zweimal entfernt, war
wiedergekommen und saß neben ihr, als sie stockend zu reden begann. Ich tat das wenige, was sich dabei tun ließ, und allmählich versank sie in eine Schlafsucht, in der sie wie eine Tote dalag.
    Es war, als habe nach einem langen und furchtbaren Unwetter der Sturm und der Regen endlich nachgelassen. Ich machte ihre Arme los und rief die Frau, die im Hause war, herbei, daß sie mir helfe, den Körper und die zerrissenen Kleider der Kranken in Ordnung zu bringen. Nun entdeckte ich erst, daß mit ihrem Zustande die Merkmale der werdenden Mutterschaft sich verbanden, und die schwache Hoffnung, die ich für die Kranke hegte, schwand mit dieser Wahrnehmung vollends.
    ›Ist sie tot?‹ fragte der Marquis, den ich noch immer als den älteren Bruder bezeichnen will, als er von einem Ausritt gestiefelt in das Zimmer kam.
    ›Nicht tot, aber im Sterben‹, versetzte ich.
    ›Welche Kraft doch in diesen gemeinen Leibern liegt!‹ sagte er, wie mit Neugier auf sie niederschauend.
    ›Allerdings liegt eine wunderbare Kraft im Schmerz und in der Verzweiflung‹, entgegnete ich.
    Anfangs lachte er über meine Worte; dann aber machte er ein finsteres Gesicht. Er rückte mit seinem Fuß einen Stuhl in die Nähe des meinigen, hieß dann die Frau fortgehen und sprach mit gedämpfter Stimme:
    ›Doktor, als ich fand, daß mein Bruder mit diesem Pack in Ungelegenheiten gekommen war, drang ich darauf, daß man Euren Beistand aufbiete. Ihr habt einen Ruf und könnt es als junger Mann zu etwas bringen, wenn Ihr auf Euer Interesse Bedacht nehmt. Dinge, wie Ihr sie hier gesehen habt, sieht man, ohne davon zu sprechen.‹ Ich

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