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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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den Untergang. Es ist Wahnsinn.«
    »Es wäre allerdings Wahnsinn, wenn ich Euch zumuten wollte, zu fliehen; aber tu ich das denn? Wenn ich von Euch verlange, Ihr sollt zu jener Tür hinausgehen, dann mögt Ihr sagen,
es sei Wahnsinn, und könnt dableiben. Tauscht Eure Halsbinde gegen die meinige, Euren Rock gegen den meinigen aus. Und während Ihr dies tut, will ich das Band aus Eurem Haar nehmen und Euer Haar so durcheinanderwerfen wie das meinige.«
    Mit wunderbarer, fast übernatürlich scheinender Behendigkeit und Kraft des Willens sowohl wie der Tat zwang er dem anderen all diese Veränderungen auf. Der Gefangene war in seinen Händen wie ein kleines Kind.
    »Carton! Lieber Carton! Es ist Wahnsinn. Es kann nicht gelingen und ist nie gelungen; man hat es schon versucht, aber es ist immer mißglückt. Ich bitte Euch, macht mir den Tod nicht durch den Eurigen noch herber.«
    »Verlang ich denn von Euch, Ihr sollt zu der Tür hinausgehen, mein lieber Darnay? Wenn ich Euch dieses Ansinnen stelle, so ist es immer noch Zeit, Euch zu weigern. Ihr habt da Tinte, Feder und Papier auf Eurem Tisch. Ist Eure Hand fest genug, um zu schreiben?«
    »Sie war es, als Ihr hereinkamt.«
    »So nehmt Euch wieder zusammen und schreibt, was ich Euch diktiere. Hurtig, Freund, hurtig!«
    Die Hand an den wirren Kopf drückend, setzte sich Darnay vor dem Tische nieder. Carton stand dicht neben ihm und hatte die rechte Hand in seiner Brust stecken.
    »Schreibt genau, was ich sage.«
    »An wen soll ich adressieren?«
    »An niemand.« Carton hatte noch die Hand in seiner Brust.
    »Datum?«
    »Keines.«
    Der Gefangene schaute bei jeder Frage auf. Carton stand mit der Hand in seiner Brust neben ihm und sah auf ihn nieder.
    »Wenn Ihr Euch der Worte erinnert«, sagte Carton diktierend, »die vor langer Zeit zwischen uns fielen, so werdet Ihr diese Zeilen leicht verstehen, wenn sie Euch zu Gesicht kommen. Ich weiß, Ihr erinnert Euch ihrer. Es liegt nicht in Eurer Natur, etwas Derartiges zu vergessen.«
    Er zog seine Hand aus der Brust; als der Gefangene zufällig verwundert von seinem Papier aufsah, fuhr die Hand zurück und schloß sich über etwas.
    »Habt Ihr geschrieben ›zu vergessen‹?« fragte Carton.
    »Ja. Was habt Ihr in der Hand? Eine Waffe?«
    »Nein. Ich bin nicht bewaffnet.«
    »Was habt Ihr sonst?«
    »Ihr werdet's bald erfahren. Schreibt weiter! Es sind nur noch wenige Worte.« Er diktierte wieder: »Ich danke Gott, daß die Zeit gekommen ist, in der ich sie erfüllen kann, und wenn ich es tue, so geschieht es ohne Leid und Bedauern.« Während er diese Worte, ohne seine Augen von dem Schreiber zu wenden, sprach, bewegte sich seine Hand leicht und langsam gegen das Gesicht des Gefangenen hin.
    Die Feder entsank Darnays Fingern, und er starrte ausdruckslos umher. »Was ist das für ein Geruch?« fragte er.
    »Geruch?«
    »Es ist mir etwas in die Nase gekommen.«
    »Ich weiß von nichts. Ihr bildet Euch das ein. Nehmt die Feder wieder auf, daß wir fertig werden. Hurtig, hurtig!«
    Der Gefangene suchte, als sei sein Gedächtnis verwirrt oder sein Geist nicht in Ordnung, sich zu sammeln. Während er mit umwölktem Blick und schwergehendem Atem Carton ansah, schaute dieser, die Hand wieder in seiner Brust, ruhig auf ihn nieder.
    »Hurtig, hurtig!«
    Der Gefangene beugte sich abermals über sein Papier.
    »Wäre es nicht so«, Cartons Hand stahl sich wieder sacht und behutsam nieder, »so würde ich nicht die Gelegenheit dazu benutzt haben. Aber dann lastete wohl«, die Hand schwebte vor dem Gesicht des Gefangenen, »noch manche schwere Verantwortung auf meiner Seele. Wäre es anders gewesen …«
    Carton sah nach der Feder hin und bemerkte, daß sie träge nur noch unleserliche Zeichen kritzelte. Seine Hand bewegte sich nicht mehr nach der Brust. Der Gefangene sprang mit einem vorwurfsvollen Blick auf, aber Cartons Hand war dicht und fest an seinen Nasenlöchern, und Cartons linker Arm hatte sich um seinen Leib geschlungen. Einige Augenblicke kämpfte er schwach gegen den Mann an, der gekommen war, um für ihn sein Leben zu opfern; aber nach Ablauf einer Minute etwa lag er besinnungslos am Boden.
    Schnell und mit ebenso sicherer Hand wie mit treuem Herzen schlüpfte Carton in die Kleider, die der Gefangene abgelegt hatte, kämmte sich das Haar zurück und band es mit dem Band zusammen, das Darnay getragen hatte. Dann rief er leise: »So; jetzt herein!« und der Spion trat in die Zelle.
    »Seht Ihr?« sagte Carton aufschauend,

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