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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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von ihnen bei ihr bleiben solle. Aber man hatte nicht nur einen Wagen und Pferde, sondern auch Reisepapiere zu besorgen. Die
Zeit drängte, der Tag ging zu Ende, und so kamen sie rasch dahin überein, daß sie die nötigen Geschäfte teilen und sich unverweilt an ihre Ausführung machen wollten.
    Als nun die Dunkelheit einbrach, legte die Tochter an der Seite ihres Vaters das Haupt auf den harten Boden und wachte bei ihm. Es wurde immer dunkler und dunkler, und sie beide lagen ruhig da, bis ein Lichtstrahl durch die Wandrisse blinkte.
    Mr. Lorry und Monsieur Defarge hatten alles für die Reise vorbereitet und brachten außer Reisemänteln und Umschlagtüchern auch Brot, Fleisch, Wein und heißen Kaffee mit. Monsieur Defarge stellte den Korb und die Laterne, die er bei sich hatte, auf die Schuhmacherbank – es war sonst außer dem Pritschenbett kein anderes Möbel mehr in der Kammer –, weckte den Gefangenen und half ihm unter Mr. Lorrys Beihilfe auf die Beine.
    Kein menschlicher Verstand vermochte in der scheuen, leeren Verwunderung des Gesichts die Geheimnisse seines Geistes zu lesen. Wußte er wohl, was vorgegangen? Erinnerte er sich dessen, was gesprochen worden? Hatte er eine Vorstellung davon, daß er frei war? Diese Fragen war kein Scharfsinn zu lösen imstande. Sie versuchten mit ihm zu reden; aber er war so verwirrt und konnte sich so wenig ins Antworten hineinfinden, daß sein Geisteszustand sie erschreckte und sie miteinander übereinkamen, ihn vorläufig nicht weiter zu behelligen. Er fuhr gelegentlich in einer eigentümlich wirren Weise, die man nie zuvor an ihm wahrgenommen, mit den Händen gegen den rasch vorgeschobenen Kopf, schien aber doch schon den bloßen Ton der Stimme seiner Tochter gern zu hören, denn er wandte sich ihr zu, sooft sie sprach.
    In der unterwürfigen Weise eines Menschen, der durch langen Zwang zu gehorchen gewöhnt ist, aß und trank er, was
man ihm vorsetzte, und legte den Mantel und die Schals um, die man ihm gab. Auch ließ er sich's gern gefallen, daß seine Tochter ihren Arm in den seinigen legte; er faßte dann ihre Hand mit der seinen und hielt sie fest.
    Sie begannen hinabzusteigen. Monsieur Defarge ging mit der Laterne voran, und Mr. Lorry bildete die Nachhut. Sie hatten auf der langen Haupttreppe noch nicht viele Stufen zurückgelegt, als er haltmachte und das Dach und die Wände anstarrte.
    »Entsinnt Ihr Euch dieses Platzes, Vater? Ihr werdet Euch erinnern, daß Ihr hier heraufgekommen seid.«
    »Was habt Ihr gesagt?«
    Aber ehe sie ihre Frage wiederholen konnte, murmelte er eine Antwort, als ob es schon geschehen sei.
    »Erinnern? Nein, ich erinnere mich nicht. Es ist schon so lange her.«
    Es war klar, daß er nicht wußte, wie er aus seinem Gefängnis in dieses Haus gekommen war. Sie hörten ihn murmeln: »Hundertundfünf, Nordturm«, und wenn er umherschaute, sah er sich augenscheinlich nach den starken Festungsmauern um, die ihn so lange umschlossen hatten. Als sie im Hof unten anlangten, änderte er unwillkürlich seinen Schritt in der Erwartung einer Zugbrücke, und als diese nicht kam und er dafür auf der Straße draußen den harrenden Wagen sah, ließ er die Hand seiner Tochter fallen und griff sich wieder an den Kopf.
    Es war kein Gedränge um die Tür; an keinem der vielen Fenster ließ sich ein Menschengesicht blicken, und nicht einmal zufällig kam jemand durch die Straße. Es herrschte eine unnatürliche Stille und Verödung. Nur eine Person war zu erblicken: Madame Defarge, die strickend am Türpfosten lehnte und nichts sah.
    Der Gefangene war eingestiegen und seine Tochter ihm ge
folgt. Als aber Mr. Lorry folgen wollte, wurde er auf dem Tritt durch eine in kläglichem Ton vorgebrachte Frage angehalten, wo das Schuhmacherwerkzeug und die halbfertigen Schuhe seien. Madame Defarge rief ihrem Gatten zu, daß sie das Vermißte holen wolle, und hatte sich, weiterstrickend, rasch im Dunkel des Hofes verloren, kam jedoch bald wieder zurück und reichte Schuhe und Werkzeug in den Wagen hinein. Dann nahm sie ihren Posten an der Tür wieder ein, strickte und sah nichts.
    Defarge lud den Koffer auf und gab das Zeichen: »Zur Barriere!« Der Postillion knallte mit der Peitsche, und sie rasselten unter den matt blinkenden Straßenlaternen dahin.
    Unter den Laternen hin – die in den besseren Straßen immer heller und in den schlechteren immer trüber brannten –, an den beleuchteten Läden, fröhlichen Menschenhaufen, lichtstrahlenden Kaffeehäusern und

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