Eine Geschichte aus zwei Städten
Theatern vorbei nach einem der Stadttore. Hier standen Soldaten mit Laternen vor dem Wachhause. »Eure Papiere, Reisende!« – »Seht, Herr Offizier«, sagte Defarge, indem er ausstieg und den Mann ernst beiseite nahm, »dies sind die Papiere des weißhaarigen Herrn im Wagen. Man übergab sie mir mit ihm auf dem …«
Er dämpfte seine Stimme. Es fand nun ein hastiges Durcheinander unter den Laternen der Wache statt, und eine davon drang an einem uniformierten Arm in den Wagen, um in dem weißhaarigen Herrn den zu dem Arm gehörigen Augen einen Anblick zu enthüllen, dem man nicht jeden Tag oder jede Nacht begegnete.
»Es ist gut. Vorwärts!« rief der Uniformierte.
»Adieu!« rief Defarge.
Und so ging es aus dem spärlicher und spärlicher werdenden Geflimmer der Laternen hinaus unter die Unzahl flimmernder Sterne.
Unter diesem Gewölbe mit seinen unbeweglichen ewigen Lichtern, von denen manche unserer kleinen Erde so fern sind, daß die Gelehrten uns versichern, es sei zweifelhaft, ob ihre Strahlen sie überhaupt schon erreicht haben, als einen Punkt im Raum, auf dem man leidet und handelt, breiteten sich die Schatten der Nacht weit und dunkel aus. Während der ganzen kalten, ruhelosen Nachtfahrt bis zum dämmernden Morgen trieben sie wieder ihr Spiel mit Mr. Jarvis Lorry, der dem begraben gewesenen und nun ausgegrabenen Manne gegenübersaß, und flüsterten ihm, während er sich Gedanken über die vielleicht auf immer verlorenen und die vielleicht noch zu rettenden geistigen Kräfte des Gefangenen machte, die alte Frage zu:
»Ich hoffe, es ist Euch lieb, wieder ins Leben zurückgerufen zu sein.«
Und die alte Antwort: »Ich weiß es nicht.«
Zweites Buch
Der goldene Faden
Erstes Kapitel
Fünf Jahre später
Tellsons Bank bei Temple Bar war schon im Jahr eintausendsiebenhundertundachtzig ein altmodisches Haus, sehr klein, sehr dunkel, sehr häßlich und sehr unbequem. Man konnte sie aber auch ein altmodisches Haus mit Beziehung auf die moralische Eigentümlichkeit nennen, daß jeder der Geschäftsteilhaber stolz war auf das kleine Gebäude, stolz auf seine Dunkelheit, stolz auf sein garstiges Aussehen und stolz auf seine Unbequemlichkeit. Diese Eigenschaften schienen ihnen sogar hohe Vorzüge zu sein, denn sie lebten der zuversichtlichen Überzeugung, daß die Bank, wenn man weniger an ihr zu tadeln wüßte, auch weniger achtbar wäre. Dies war indes nicht nur ein passiver Glaube, sondern eine aktive Waffe, die sie gern gegen bequemer eingerichtete Geschäftsräumlichkeiten schleuderten. Tellsons – sagten sie – brauchen keinen überflüssigen Raum, kein Licht, keine Verschönerung. Noakes & Co. oder Gebrüder Snooks werden es nötig haben; aber Tellsons? Dem Himmel sei Dank, nein!
Jeder von den Geschäftsteilhabern würde seinen Sohn enterbt haben, wenn dieser an einen Umbau von Tellsons gedacht hätte. In dieser Beziehung erging es dem Hause gerade wie England, das sehr oft seine Söhne enterbte, weil sie Verbesserungen an Gesetzen und Bräuchen beantragten, die nichts weniger als löblich, aber eben deshalb um so achtbarer waren.
So hatte sich's denn gemacht, daß Tellsons die Unbequemlichkeit in höchster Vervollkommnung darstellten. Nachdem man eine blödsinnig hartnäckige Tür aufgedrückt hatte, die abscheulich knarrte, fiel man bei Tellsons ein paar Stufen hinab und kam in einem erbärmlichen Lädchen mit zwei kleinen Zahltischen wieder zur Besinnung, wo in den Händen der
ältesten Männer der Wechsel eines Kunden wie im Winde zitterte, solange sie die Unterschrift an den schmutzigsten von allen Fenstern prüften, die von der Fleetstraße aus unter dem Einfluß eines ständigen Schlammregenbades standen und vor den eigenen eisernen Gittern und in dem tiefen Schatten von Temple Bar sich nur um so schmutziger ausnahmen. War jemand genötigt, Geschäfte halber mit dem ›Haus‹ zu verkehren, so wurde er an der Hinterseite in eine Art Verbrecherzelle gesteckt, wo er über ein übel zugebrachtes Leben nachdenken konnte, bis das ›Haus‹, die Hände in den Taschen, erschien, in dem unheimlichen Zwielicht aber sich kaum erkennen ließ. Die Geldbehälter, die der Ein- oder Auszahlung dienten, bestanden aus alten hölzernen Schubladen, aus denen beim Herausziehen oder Zurückschieben das Wurmmehl einem in Nase und Kehle flog. Die Banknoten hatten einen modrigen Geruch, als seien sie im Begriff, sich rasch wieder zu Lumpen zu zersetzen. Das anvertraute Silbergerät wurde in der Nachbarschaft von
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