Eine Geschichte aus zwei Städten
noch seine Perücke auf und die Robe noch an, als er sich neben seinem Klienten in einer Weise aufpflanzte, daß der unschuldige Mr. Lorry ganz aus der Gruppe hinausgedrückt wurde.
»Es freut mich, daß ich Euch mit Ehren davongebracht habe, Mr. Darnay«, begann er. »Es war ein schändlicher und schamloser Versuch, der aber doch hätte gelingen können.«
»Ich bin Euch für mein Leben lebenslang verpflichtet«, sagte der Klient und ergriff seine Hand.
»Ich habe mein Bestes für Euch getan, Mr. Darnay, und mein Bestes ist, glaube ich, so gut wie das irgendeines anderen Menschen.«
Da es jetzt irgend jemandem oblag, zu sagen, ›viel besser‹, so übernahm Mr. Lorry diesen Dienst, vielleicht nicht ganz uneigennützig, sondern in der Absicht, sich wieder in die Gesellschaft hineinzubringen.
»Meint Ihr?« versetzte Mr. Stryver. »Nun, Ihr seid den ganzen Tag zugegen gewesen und müßt es wissen. Schon als einem Geschäftsmanne steht Euch ein Urteil zu.«
»Und als Geschäftsmann«, sagte Mr. Lorry, den der Rechtsgelehrte jetzt wieder in die Gruppe hinein- wie zuvor hinausgedrängt hatte, »als Geschäftsmann ersuche ich Dr. Manette, diese Konferenz abzubrechen und uns alle nach Hause zu kommandieren. Miß Lucie sieht sehr schlecht aus, Mr. Darnay hat einen schrecklichen Tag gehabt, und auch wir sind erschöpft.«
»Ihr müßt nur von Euch selber sprechen, Mr. Lorry«, versetzte Stryver, »denn was mich betrifft, so habe ich noch die ganze Nacht durchzuarbeiten.«
»Ich spreche allerdings von mir selber«, antwortete Mr. Lorry, »und auch für Mr. Darnay und Miß Lucie und – glaubt Ihr nicht, Miß Lucie, daß ich von uns allen reden kann?«
Er brachte diese Frage mit besonderem Nachdruck vor und warf dabei einen Blick auf ihren Vater.
Das Gesicht des Doktors war gewissermaßen im Anschauen von Mr. Darnay erstarrt; es lag ein Zug darauf, in dem sich Abneigung, Mißtrauen und sogar Furcht zu mischen schienen. Und während noch dieser befremdliche Ausdruck auf seiner Stirn lag, waren seine Gedanken weitergewandert.
»Vater«, sagte Lucie, ihre Hand sanft auf die seine legend.
Es dauerte geraume Zeit, bis er die Schatten verscheucht hatte und sich ihr zuwandte.
»Wollen wir nicht nach Hause gehen, Vater?«
Nach einem tiefen Atemzuge antwortete er: »Ja.«
Die Freunde des freigesprochenen Angeklagten hatten sich zerstreut, in der Meinung, er würde, wie er selbst es vermutet hatte, am gleichen Abend noch nicht auf freien Fuß gesetzt werden. Die Lichter in den Gängen waren meist erloschen, die eisernen Tore mit großem Lärm geschlossen worden, und der unheimliche Platz lag verödet bis zum anderen Morgen, an dem das Interesse für Galgen, Pranger, Stäupepfahl und Brandeisen ihn aufs neue bevölkern würde. Zwischen ihrem Vater und Mr. Darnay gehend, gelangte Lucie Manette ins Freie. Es wurde eine Mietkutsche angerufen, die den Doktor mit seinem Kinde heimfuhr.
Mr. Stryver war in dem Gang zurückgeblieben und schickte sich jetzt an, das Umkleidezimmer aufzusuchen. Eine weitere Person, die sich weder der Gruppe angeschlossen noch mit irgend jemand daraus ein Wort gewechselt, sondern im tiefsten Schatten des Ganges an der Wand gelehnt hatte, war schweigend den übrigen gefolgt und Zeuge gewesen, wie die Kutsche davonrasselte. Jetzt trat sie auf den Platz zu, wo Mr. Lorry und Mr. Darnay beisammenstanden. »So, Mr. Lorry – können jetzt Geschäftsleute wieder mit Mr. Darnay sprechen?«
Bei Mr. Carton (er war es) hatte sich niemand für seine Beteiligung an dem Gang des Prozesses bedankt, ja, niemand von ihr auch nur etwas gewußt. Er war nicht mehr in seiner Anwaltsrobe, und seine Außenseite wurde durch diesen Umstand sicherlich nicht gehoben.
»Ihr würdet lachen müssen, Mr. Darnay«, fuhr er fort, »wenn Ihr wüßtet, zu welchen Kämpfen es bisweilen im Kopf eines Geschäftsmannes kommt, wenn dieser zwischen einer Regung der Gutmütigkeit und dem Schein, den der Geschäftsmann wahren soll, in die Klemme gerät.«
Mr. Lorry errötete und entgegnete mit Wärme:
»Ihr habt das früher schon angedeutet, Sir. Aber Geschäftsleute, die einem Hause dienen, sind nicht ihre eigenen Herren. Sie haben mehr an ihr Haus als an sich selbst zu denken.«
»Ich weiß das, ich weiß das«, versetzte Mr. Carton unbekümmert. »Ihr müßt nicht ärgerlich werden, Mr. Lorry. Ich zweifle nicht, daß Ihr so gut seid wie nur einer, vielleicht sogar besser.«
»In der Tat, Sir«, fuhr Mr. Lorry fort, ohne auf ihn
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