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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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zu Ehren des Tages gemietet hatte. Die anderen folgten in einem zweiten Wagen, und bald waren in einer benachbarten Kirche, wo keine fremden Augen zuschauten, Charles Darnay und Lucie Manette glücklich vermählt.
    Außer den Tränen, die während des Trauungsaktes aus dem Lächeln der kleinen Gruppe hervorblitzten, glänzten auch einige feurige, funkelnde Diamanten, die kürzlich der Dunkelheit in Mr. Lorrys Taschen entwischt waren, an der Hand der
Braut. Man kehrte nach Hause zurück zum Frühstück. Alles war gut abgelaufen, und zur gehörigen Zeit schimmerte das goldige Haar, wie in dem Pariser Dachstübchen, so abermals hier neben den weißen Locken im Lichte der Morgensonne auf der Schwelle der Tür zum Abschied.
    Ein schwerer Abschied, obschon nicht auf lange. Ihr Vater aber sprach ihr Mut zu und sagte endlich, während er sich sanft aus ihren umschlingenden Armen losmachte: »Nehmt sie, Charles, sie ist Euer.« Ihre bebende Hand winkte noch aus dem Kutschenfenster, und dann war sie fort.
    Da die Ecke nicht dem Zulauf von Müßiggängern und Neugierigen ausgesetzt war und man nur sehr wenige und einfache Vorbereitungen getroffen hatte, so standen der Doktor, Mr. Lorry und Miß Proß allein auf der Straße. Wie sie jedoch sich in den willkommenen Schatten der kühlen alten Halle zurückzogen, bemerkte Mr. Lorry, daß mit dem Doktor eine große Veränderung vorgegangen war, als habe der dort aufgehobene goldene Arm einen bösen Schlag nach ihm geführt.
    Natürlich hatte er viel in sich verschlossen, und es war zu erwarten, daß es, wenn der Zwang vorüber war, zu einem Ausbruch kommen müsse. Aber es war der alte, scheue, irre Blick, der Mr. Lorry beunruhigte; und die zerstreute Art, wie er nach seinem Kopfe griff und traurig zu seinem Zimmer hinaufstieg, erinnerte seinen Freund an den Weinschenken Defarge und an die Fahrt in der sternenhellen Nacht.
    »Ich denke«, flüsterte er nach ängstlicher Überlegung Miß Proß zu, »ich denke, es ist am besten, wenn wir jetzt nicht mit ihm reden, sondern ihn ganz ungestört lassen. Ich muß einmal bei Tellsons vorsprechen und komme schnell wieder zurück. Wir machen dann eine Fahrt aufs Land, essen dort zu Mittag, und alles wird wieder gut sein.«
    Mit dem Vorsprechen bei Tellsons ging es übrigens nicht
so hurtig; er wurde zwei Stunden aufgehalten. Als er zurückkam, stieg er ohne Anfrage allein die alte Treppe hinan. Auf dem Flur zu des Doktors Zimmern angelangt, machte er betroffen halt, da er einen Ton hörte wie dumpfes Klopfen!
    »Gütiger Gott!« rief er erschrocken. »Was ist das?«
    Miß Proß kam entsetzt auf ihn zu.
    »O weh! o weh! Alles ist verloren!« rief sie, die Hände ringend. »Was soll ich meinem Vögelchen sagen? Er kennt mich nicht und macht Schuhe!«
    Mr. Lorry tat, was er konnte, um sie zu beruhigen, und ging selbst in des Doktors Zimmer. Die Bank war gegen das Licht gerückt, wie er sie früher gesehen, als der Schuhmacher daran arbeitete; sein Haupt war niedergebeugt und die Hände fleißig.
    »Doktor Manette. Mein lieber Freund, Doktor Manette!«
    Der Doktor sah ihn einen Augenblick halb fragend, halb in einer Weise an, als sei er ärgerlich über die Störung; dann beugte er sich wieder zu seinem Geschäft nieder.
    Er hatte Rock und Weste abgelegt; sein Hemd stand am Halse offen, wie er es bei dieser Arbeit gewöhnt gewesen, und selbst der alte verstörte, müde Ausdruck lag wieder auf seinem Gesicht. Er arbeitete eifrig, ungeduldig sogar, als wollte er einbringen, was er durch die Störung versäumt hatte.
    Mr. Lorry betrachtete, was er in der Hand hatte, und sah, daß es ein Schuh von der alten Größe und Form war. Er nahm den anderen, der neben ihm lag, auf und fragte ihn, was das sei.
    »Ein Schuh für ein junges Frauenzimmer«, murmelte der Doktor, ohne aufzusehen. »Er sollte schon längst fertig sein. Laßt ihn liegen.«
    »Aber, Doktor Manette, so seht mich doch an.«
    Er gehorchte in der früheren mechanischen, unterwürfigen Weise, ohne in seiner Arbeit auszusetzen.
    »Ihr kennt mich doch, mein lieber Freund? Besinnt Euch. Dies ist keine Beschäftigung, die für Euch paßt. Nehmt Eure Gedanken zusammen, Freund!«
    Aber nichts konnte den Doktor bewegen, weiterzusprechen. Er schaute, wenn man ihn dazu aufforderte, für einen Augenblick auf, aber keine Überredung war imstande, ihm ein weiteres Wort zu entlocken. Er arbeitete, arbeitete und arbeitete schweigend, und Worte machten auf ihn denselben Eindruck, als wären sie in die

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