Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Regen, Schlamm und Schnee noch funktionierte. Es war ein teures Schweizer Fabrikat, ein Geschenk seines Vaters zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag, das er anfangs nur widerwillig getragen hatte. Die Uhr symbolisierte die Liebe seines Vaters für Reichtum und Macht, und Dimitri war es peinlich gewesen, sich während seiner Studienzeit damit zu zeigen. In der Nacht, als er das Haus verlieÃ, hatte er erst im letzten Moment nach ihr gegriffen, als ihm einfiel, dass ihr Wert nützlich sein und er sie im Notfall verkaufen könnte. Jetzt, nachdem das Uhrenglas zerkratzt und das Gold matt geworden war, mochte er sie, weil er sich auf sie verlassen konnte. Viele Male hatte die Genauigkeit ihres Uhrwerks unschätzbare Dienste geleistet, wenn er und seine Kameraden sich in der Bergen orientieren mussten.
»Dann bis morgen«, sagte Elias. »Grüà deine Eltern von mir.«
»Und richte du deinen Eltern auch meinen Gruà aus«, erwiderte Dimitri.
Elias drehte sich um, ging nach Norden in Richtung Altstadt und tauchte in das Gewirr der Gassen ein, die ihn schlieÃlich zur IrinistraÃe führten.
Dimitri nahm eine ruhige StraÃe, die parallel zur Seepromenade verlief. Er sah keinen Menschen. Es lag eine zermürbende Mattigkeit über der Stadt. Nach einem flotten FuÃmarsch von zehn Minuten erreichte er die NikistraÃe. Die Pracht und GröÃe des Hauses kamen ihm jetzt sogar noch bedrückender vor als in seiner Erinnerung. Er klingelte, und sein Herz begann heftig zu klopfen. Viele solcher Häuser wa ren von den Deutschen beschlagnahmt worden, und plötzlich dämmerte ihm, dass er schon im nächsten Moment verhaftet werden könnte. Bevor ihm Zeit blieb, sich zu entscheiden, ob er nicht besser fliehen sollte, hörte er, wie der schwere Riegel zögernd zur Seite geschoben wurde, als wäre die Person hinter der Tür genauso nervös wie er selbst. Als Pavlina sah, wer auf der Schwelle stand, schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund.
» Panagia mou! Dimitri!«, rief sie halb erstickt aus. »Komm rein! Komm rein!«
Sie zog ihn in die Diele, trat zurück und musterte ihn gleichzeitig erfreut und besorgt.
»Mein Gott!«, sagte sie und bekreuzigte sich mehrmals. »Was haben sie bloà mit dir gemacht?«
Dimitri wusste, dass er ausgemergelt und erschöpft aussah. Er hatte sich im Dielenspiegel gesehen, dem ersten Spiegel, der ihm seit Monaten untergekommen war. Er war nicht sicher, wen Pavlina mit »sie« meinte. Irgendwelche Feinde vermutlich. Die Deutschen? Oder andere Griechen?
»Deine Mutter wird sich so freuen, dich zu sehen! Sie ist oben.«
»Und mein Vater?«
»Immer noch im Büro, schätze ich.«
Dimitri nahm zwei Stufen auf einmal, blieb oben angekommen einen kurzen Moment stehen und klopfte dann zaghaft an die Salontür. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, trat er ein. Olga blickte nicht auf von ihrer Lektüre, weil sie annahm, es sei Pavlina mit dem Tee.
»Mutter, ich binâs.«
Olga lieà ihr Buch fallen, sprang auf und lief auf Dimitri zu, der sie fest in seine Arme schloss.
»Dimitri â¦Â«
Beide brachten kein Wort heraus, es gab nur Tränen, deren sie sich nicht schämten. SchlieÃlich trat Olga zurück, um ihren Sohn anzusehen.
»Ich kann nicht glauben, dass du es bist. Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich dachte, ich würde dich nie mehr wiedersehen! Wir haben so lange nichts von dir gehört â¦Â«
»Ich konnte dir nicht schreiben. Das war nicht möglich. Es tut mir so leid, Mutter, wirklich.«
»Ich bin unendlich glücklich, dich zu sehen â¦Â«
Sie hielten sich noch ein paar Minuten lang in den Armen. SchlieÃlich beruhigte sich Olga und wischte sich die Tränen ab. Sie wollte den Moment der Rückkehr ihres Sohnes nur noch genieÃen.
»Setz dich«, sagte sie. »Erzähl mir alles. Erzähl mir, was du gemacht hast. Wo du gewesen bist!«
Sie setzten sich nebeneinander auf die Chaiselongue.
»Hör zu, es gibt etwas, was du verstehen musst«, sagte Dimitri ernst. »Etwas wirklich Wichtiges, was ich dir jetzt sagen muss.«
»Aber hat das nicht Zeit, agapi mou ? Dein Vater kommt später«, erklärte sie pflichtbewusst. »Und wenn du jetzt wieder zu Hause bist, haben wir doch viel Zeit.«
»Darum gehtâs ja, Mutter. Ich habe nicht viel Zeit.«
»Was meinst du damit, mein Liebling?«,
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