Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Crêpe und feiner Seide.
Er bemerkte, wie sich Katerinas Gesichtsausdruck veränderte.
»Ah. Ich sehe, dass Sie es noch nicht wissen. Sie haben ihren Sohn verloren.«
Katerina biss sich auf die Unterlippe, um das Zittern zu unterbinden, und nahm die Stoffmuster.
»Ich mache mich sofort auf den Weg«, flüsterte sie fast unhörbar.
Obwohl sich ihre Beine anfühlten, als wollten sie unter ihr wegbrechen, schaffte sie es auf die StraÃe hinaus, bevor sie hemmungslos zu weinen anfing. Dimitri war tot. Sie lehnte sich an die Hauswand und lieà ihren Tränen freien Lauf. Achtlos hasteten Menschen an ihr vorbei, als wäre sie unsichtbar.
Irgendwann gelang es ihr, sich einigermaÃen zu fassen. Sie hatte etwas zu erledigen. Sie würde die beiden Menschen aufsuchen, die dieser Verlust genauso schwer traf wie sie selbst. Mit zitternden Beinen machte sich auf den Weg in Richtung Meer.
Pavlina kam schnell an die Tür. Die Augen der Haushälterin waren vom Weinen so stark geschwollen, dass sie kaum etwas sehen konnte.
Katerina trat ein.
»Wie geht es Kyria Komninou?«
Pavlina schüttelte den Kopf. »Furchtbar. Absolut furchtbar.«
Die beiden Frauen gingen in die Küche, aber der Kummer war noch so frisch und überwältigend, dass sie vor Weinen kaum ein Wort herausbrachten.
»Kyria Komninou hat seit zwei Tagen nichts mehr zu sich genommen«, sagte Pavlina schlieÃlich und stand auf, um für ihre Herrin ein weiteres Tablett vorzubereiten. »Warum kommst du nicht mit hoch? Vielleicht kannst du sie überreden?«
Vom Ticken der Standuhr begleitet, stiegen die beiden Frauen die Treppe hinauf.
»Warte hier einen Moment«, sagte Pavlina.
Im Schlafzimmer zog sie die Vorhänge einen Spalt auf, um etwas Tageslicht einzulassen. Olga lag angekleidet und starr auf dem Bett wie ein aufgebahrter Leichnam.
»Katerina ist hier, darf sie reinkommen?«, fragte Pavlina und stellte das Tablett ab. »Kyrios Komninos hat sie gebeten herzukommen.«
Olga setzte sich auf. »Warum?«
»Um über Trauerkleider zu sprechen.«
»Ah ja«, erwiderte Olga, als hätte sie die Ereignisse der vergangenen Tage vergessen. »Trauerkleider.«
Katerina trat ein. Sie brachte nicht mehr als ein Flüstern heraus: »Es tut mir so leid.« In der nächsten Stunde notierte sie sich schweigend die MaÃe und machte Skizzen, die sie Olga zeigte. Aber es gab nichts zu sagen, was dem Anlass auch nur ansatzweise angemessen gewesen wäre.
Bald darauf machte die Nachricht die Runde, dass Komninosâ Sohn im Kampf gegen die Kommunisten in den Bergen gefallen sei. Mehrere Familien aus seinem Bekanntenkreis hatten ihre Söhne auf die gleiche Weise verloren, und viele schickten aufrichtig gemeinte Kondolenzschreiben in der Annahme, der reiche Geschäftsmann sei überwältigt von Schmerz. Doch es dauerte nicht lange, und er ging wieder wie üblich seinen Geschäften nach, was ihm den Ruf eintrug, besonders männlich und tapfer zu sein.
Katerina kam in den folgenden Wochen einige Male zur Anprobe vorbei. Das Schwarz lieà Olga mindestens zehn Jahre älter aussehen, und wenn sie jetzt in den Spiegel sah, starrte sie eine verhärmte ältere Frau an.
Als Katerina eines Nachmittags gerade die Villa verlassen wollte, steckte ihr Pavlina etwas zu. Es war eine kleine Fotografie.
»Es wird nicht auffallen, dass sie fort ist«, sagte sie. »Ich hab sie in einer Schachtel mit ein paar ganz ähnlichen gefunden.«
Katerina sah das Bild von Dimitri an. Es war an seinem ersten Tag in der Universität aufgenommen worden und machte sie froh und traurig zugleich.
»Danke, Pavlina«, sagte sie. »Vielen Dank. Ich werde es in Ehren halten.«
Als Olga aus den dunklen Abgründen ihres Schmerzes auftauchte, fiel ihr auf, dass Katerina nicht mehr das strahlende Lächeln zur Schau trug, das früher einmal so typisch für sie gewesen war. Das Licht, das immer von ihr ausging, war erloschen, und um ihre Augen lagen dunkle Schatten. Olga dämmerte, dass die junge Frau selbst von tiefem Schmerz gequält wurde.
25
I n den folgenden Monaten glich Katerina einer Schlafwandlerin. Sie funktionierte nur, weil sie jeden Tag die gleichen Dinge auf die gleiche Weise verrichtete, ansonsten nahm sie ihre Umgebung kaum wahr.
Eugenia tat ihr Bestes, um ihr zu helfen, diese schwierigen Monate zu überstehen, aber sie wusste, dass es viel
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