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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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Eugenia auf der langen Flucht mitgeschleppt hatte, befanden sich ein paar Stränge Stickseide und ein Rest Wolle von einem Teppich, an dem sie gewebt hatte. Unter ihrer Anleitung verbrachten die Mädchen nun den Tag damit, aus Stoffresten, die sie im Lager gefunden hatten, Patchwork-Decken anzufertigen. Manchmal traf eine Kleiderspende von einer amerikanischen Wohlfahrtsorganisation ein, und sie bekamen etwas »Neues« zum Anziehen, das sie mit farbenfrohen Stickereien, Applikationen und viel Fantasie verschönerten. Eines Tages, als ihnen langweilig war, steckte Maria die Nadel durch die Leinwand des Zelteingangs, und bald darauf war die »Tür« mit Stickereien bedeckt. Sie »schrieben« ihre Namen in bunten Farben, die sie mit Blumen und Blättern verzierten. Als krönenden Abschluss fügte Eugenia mit großen Stichen die Worte »Spiti mou, spitaki mou« hinzu. Das war ihr Zelt geworden: ihr Heim, ihr trautes Heim.
    Für die Kinder zumindest begann der traumatische Verlust ihrer Heimat zu verblassen, sie erinnerten sich kaum mehr daran.
    Die Bemühungen der Erwachsenen, sie bei Laune zu halten, waren zwar größtenteils erfolgreich, dennoch war nicht zu übersehen, dass die Verhältnisse im Lager immer schlechter und die lähmende Untätigkeit allmählich unerträglich wurde.
    Eugenia wusste, dass sie nie mehr in ihr altes Leben in der fernen Türkei zurückkehren könnte, aber es gelang ihr nicht, sich an den Gedanken zu gewöhnen, für immer in der un wirtlichen Landschaft von Lesbos zu bleiben. Es war ein Spiel auf Zeit. Viele im Lager waren an Krankheiten gestorben, und es bestand stets die Gefahr, dass man selbst als Nächster an der Reihe wäre. Was für eine Ironie, dachte Eugenia, so viel Mühsal zu überleben, um nach Smyrna zu kommen, und dann hier zu sterben.
    Im Lager gab es zwar ausreichend Verpflegung, aber da es immer kälter wurde und schwere Regenfälle einsetzten, wurde das Leben täglich härter.
    Man hörte Gerüchte, dass diplomatische Anstrengungen unternommen würden, ihre Lage zu verbessern. Das war zumindest ein Trost. Auch wenn die Kinder nichts davon merkten, spürten die Erwachsenen sehr wohl, wie ihnen die Zeit davonlief, und sie fragten sich, wie viel von ihrem Leben sie noch an diesem Ort nutzlos vergeuden mussten.
    Eines Tages kam die erfreuliche Nachricht, dass alle aufs Festland verbracht werden sollten. Trotz des massiven zahlenmäßigen Ungleichgewichts sollte es zwischen Griechenland und der Türkei zu einem Austausch der jeweils im anderen Land lebenden Bevölkerungsteile kommen.
    Nach den katastrophalen Ausbrüchen an Hass und Gewalt in den vergangenen Jahren sahen die Politiker darin die einzige Lösung. Muslime konnten nicht mehr sicher in Griechenland leben und Griechen nicht mehr gemeinsam mit Muslimen in der Türkei. Aufgrund ihrer großen Landmasse würde dies der Türkei wenig ausmachen, Griechenland jedoch wäre nicht mehr dasselbe, wenn die Einwohnerzahl der kleinen, unterentwickelten Nation in wenigen Monaten von viereinhalb auf sechs Millionen anstiege. Die Folgen dieses rasanten Anstiegs wären umso dramatischer, weil die Neuankömmlinge praktisch nichts mitbrächten als das, was sie am Leib trugen.
    Im Januar 1923 wurde der Vertrag von Lausanne ge schlossen. Innerhalb eines Jahres sollte diese in der Geschichte beispiellose Umsiedlungsaktion abgeschlossen sein.

7
    D en ganzen Frühling hindurch herrschte im Lager gespannte Erwartung, bevor die Vorbereitungen für die Abreise abgeschlossen waren. Immer wieder hörte Katerina Gespräche, die sich darum drehten, wohin man sie wohl schicken würde, und ein Wort kreiste beständig in ihrem Kopf: Athinathinathina . Es war das letzte Wort, das sie ihre Mutter sagen hörte: Athina. Athen.
    Katerina war nun erneut ganz aufgeregt bei der Aussicht, ihre Mutter und Schwester wiederzufinden, und begann, die Tage zu zählen. Jeden Tag machte sie einen kleinen Kreuzstich in den Saum ihres Kleids, und bevor sie den Kreis vollendet hätte, so hoffte sie, würde sie wieder mit ihnen vereint sein.
    Die Erwachsenen begeisterte die Aussicht, endlich von hier wegzukommen. In ihrem zukünftigen Wohnort waren ihnen neue Häuser versprochen worden, und Katerina war sicher, dass sie dort wieder mit ihrer Familie zusammenleben würde.
    Schließlich legte ein großes Schiff im Hafen von Mytilini

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