Eine Geschichte von Liebe und Feuer
an, und alle warteten, ob sie auf der Passagierliste standen. Sobald sie die Bestätigung hatten, begannen Eugenia und die Mädchen zu packen.
In den vergangenen Monaten waren noch viele weitere Familien ins Lager geströmt, und die Verhältnisse hatten sich stark verschlechtert. Mit den steigenden Frühlingstemperatu ren breiteten sich Krankheiten aus, und oft wurden Kinder innerhalb weniger Stunden ihren verzweifelten Eltern entrissen.
Als Eugenia und ihre Mädchen ihre Habseligkeiten packten, tat es ihnen nicht leid, von hier fortzugehen. Der Zelteingang mit der Aufschrift »Mein Heim, mein trautes Heim«, um den sich jetzt Blumen und Blätter rankten, stand inzwischen im krassen Gegensatz zu ihren Empfindungen.
Unten am Hafen herrschte viel Lärm und Gedränge. Es sah aus, als ginge es an einem Heiligenfest auf eine groÃe Wallfahrt, und zum ersten Mal spürten sie die wärmende Sonne im Gesicht.
Freunde, die schon an Bord waren, riefen und winkten. Sie waren begeistert, dass es endlich losging, und erfüllt von hoffnungsvoller Vorfreude auf einen Neuanfang in Athen.
Mit einem Zwilling an jeder Seite stand Katerina hinter Eugenia. Sie befanden sich jetzt an der Spitze der Menschenschlange, und der Gestank des Diesels und Motorenöls hätte ihnen nicht süÃer erscheinen können.
Eugenia blickte nach oben, wo eine ihrer Nachbarinnen aus dem Lager vom Oberdeck aus winkte. Aber das Schiff war so überfüllt, dass das vertraute Gesicht bald in der wogenden Masse der Passagiere unterging.
Der uniformierte Beamte begann, das Absperrgitter vorzuziehen.
»Tut mir leid. Es ist voll. Besser gesagt, total überfüllt, Kyria. Sie haben schon über hundert Leute mehr an Bord ge nommen, als dieser alte Kahn eigentlich aufnehmen dürfte.«
»Aber es können doch sicher noch vier mehr drauf! Was für einen Unterschied macht das schon?«
»Sie müssen aufs nächste Schiff warten.«
»Aber wann wird das sein?«, protestierte Eugenia den Tränen nahe.
»Wir erwarten noch eines. Ich kann nicht sagen, wann genau. Aber alle hier werden in angemessener Zeit von der Insel gebracht«, antwortete der Beamte mit dem höflich gelassenen Tonfall eines Menschen, auf den am Abend ein gemütliches Bett wartete.
Die einzige Auswirkung dieser Ereignisse auf das Leben des Mannes bestand darin, dass sich sein Einkommen erhöht hatte. Er hatte sich in den letzten paar Tagen mit den Bestechungsgeldern von Leuten, die dafür zahlen konnten, an den Anfang der Passagierliste zu kommen, ein ordentliches Zubrot verdient.
Betrübt sahen Eugenia und die Kinder zu, wie das Schiff aus dem Hafen auslief und die Gesichter ihrer Freunde immer kleiner wurden, bis sie schlieÃlich ganz verschwanden. Der Beamte hatte ihnen den Rücken zugewandt, als wollte er ihnen die Sicht auf ihre schwindenden Hoffnungen versperren.
Eugenia lieà das Bündel ihrer Habseligkeiten fast auf die FüÃe des Beamten fallen.
»Wir bleiben hier sitzen«, sagte sie. »Dann sind wir beim nächsten Schiff gleich vorn dran.«
»Ganz wie Sie meinen«, erwiderte er hochmütig und wandte sich ab.
In weniger als einer Stunde kam am Horizont ein zweites Schiff in Sicht. Nach einer quälend langen Zeit legte es an, und erneut folgte die umständliche Prozedur der Registrierung. Eugenia schickte die drei Mädchen los, um etwas zu essen aufzutreiben, während sie einem neuen Beamten ihre Namen nannte. Der vorherige war verschwunden, und der neue schien freundlicher zu sein.
»Wie lange wird die Ãberfahrt nach Athen dauern?«, fragte sie.
»Sie fahren nicht nach Athen«, erwiderte er sachlich, ohne von dem Formular aufzublicken, das er mit Eugenias Personalien ausfüllte. »Sie fahren nach Thessaloniki.«
»Thessaloniki!« Eugenia spürte Panik in sich aufsteigen. »Aber wir wollen nicht nach Thessaloniki! Wir kennen niemanden dort. Alle Leute aus meinem Dorf sind nach Athen gefahren!«
»Nun, das liegt ganz bei Ihnen. Es gibt eine Menge Leute in der Schlange hinter Ihnen, die liebend gern Ihre Plätze auf dem Schiff übernehmen. Und ich kann sie nicht alle warten lassen.«
Eugenia unternahm einen letzten Versuch. »Aber Katerina ist nicht meine Tochter. Und ihre Mutter ist in Athen. Wir müssen sie dorthin bringen.«
Der Beamte lieà sich nicht beeindrucken. Solche Trennungen waren nichts Besonderes in
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