Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Möbelstoffen. Denn egal, ob sie es wussten oder nicht, die Kleider- und Bezugsstoffe der wohlhabenden Bürger Thessalonikis stamm ten alle von Konstantinos Komninos.
Die Politik seines Landes und die Veränderungen seiner Stadt hatten Konstantinos während der vergangenen Monate zunehmend beschäftigt. Schon vor dem abschlieÃenden Ver trag mit den Türken, der im Juli unterzeichnet werden sollte, waren eine Million kleinasiatischer Griechen nach Griechen land eingewandert, und jeden Tag kamen mehr.
Wochenlang zirkulierten verschiedene Statistiken, aber alle riefen groÃe Besorgnis hervor. Ãber viele Monate hinweg waren Flüchtlinge nach Thessaloniki geströmt, und die Frage, wie sie ernährt und untergebracht werden sollten, gab immer wieder Anlass zu Unruhen. Die Zeitungen gefielen sich darin, die Unzufriedenheit der Bevölkerung noch zu schüren. » ÃBER EINE MILLION «, klagte eine der Schlagzeilen. » THESSALONIKI WIRD UNTERGEHEN «, prophezeite eine andere. » WO SOLLEN WIR SIE UNTERBRINGEN ?«, fragte die dritte, als die Nachricht eintraf, dass einhunderttausend Menschen in der Stadt selbst angesiedelt werden sollten.
Wie viele wohlhabende Bürger Thessalonikis beobachtete Konstantinos Komninos die Auswirkungen dieses riesigen Zustroms mit groÃer Sorge. Viele Einwohner lebten seit der Feuersbrunst in Baracken oder teilten sich Wohnungen, und selbst seine eigene Familie war nicht standesgemäà untergebracht.
Er war nicht der einzige Händler, der seinen Tag in diesem Kafenion begann, sondern teilte die Gewohnheit mit Grigoris Gourgouris, einem erfolgreichen Schneider des Viertels. Sie saÃen an ihren üblichen Tischen, rauchten beide Zigarren der gleichen Marke und lasen die gleichen konservativen Blätter. Sie kannten sich schon seit dreiÃig Jahren, aber es kam selten vor, dass ihre Unterhaltung den Bereich der Geschäftswelt verlieÃ. Gourgouris kaufte die meisten seiner Stoffe bei Komninos, aber trotz ihrer engen Geschäftsbeziehungen hegten sie ein gesundes Maà an Misstrauen füreinander, das darauf basierte, dass der eine den anderen gewöhnlich übervorteilte.
»Meiner Meinung nach hätte man nicht so viele her kommen lassen dürfen. Sie hätten direkt nach Piräus gehen sollen«, schrie Gourgouris durch den Raum, wobei sein Doppelkinn bebte, wie immer, wenn er sich aufregte.
»Es sollte bald mehr Luft zum Atmen geben«, erwiderte Komninos gelassen, ohne von seiner Zeitung aufzublicken, »wenn die Muslime erst fort sind.«
»Mir persönlich tutâs nicht leid, wenn diese Fez-Träger von den StraÃen verschwinden«, sagte Gourgouris. »Aber es wird doch wohl kaum zu einem Ausgleich kommen? Wir kriegen mehr, als wir verlieren.«
»Aber bedenk doch, Grigoris! Die Massen der neuen Christen in der Stadt brauchen alle neue Anzüge! Also ist es vielleicht gar nicht mal so übel â¦Â«
Beide lachten, dann warf Komninos ein paar Münzen auf den Tisch und erhob sich. Es war acht Uhr, und er musste an die Arbeit.
Er tippte an die Hutkrempe, wünschte seinem Kunden knapp einen guten Morgen, trat in den morgendlichen Sonnenschein hinaus und schlenderte zum Hafen hinunter.
Er erwartete eine Lieferung und hoffte, Informationen zu bekommen, wann das Schiff eintreffen würde. Ständig lungerten Dutzende von Obdachlosen in der Hafengegend herum, manche suchten nach Arbeit, manche bettelten, andere trödelten nur müÃig herum und entfernten sich nicht weit von den Bündeln mit ihren Habseligkeiten, die sie in Haus eingängen zurückgelassen hatten. Komninos griff nie in seine Tasche. Das war ein Grundsatz, den er stets befolgte. Sobald man einem etwas gäbe, kämen alle anderen angerannt. Seine Taktik bestand darin, durch sie hindurchzusehen, als wären sie gar nicht da.
»Guten Morgen«, begrüÃte ihn der Hafenmeister und kam lächelnd auf ihn zu. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Ganz ausgezeichnet, danke. Irgendwelche Neuigkeiten von meinem Schiff?«
»Es kommt was ziemlich GroÃes rein heute Morgen«, antwortete der Hafenmeister. »Ich bin nicht sicher, ob wir genügend Personal zum Entladen haben, selbst wenn Ihre Lieferung heute noch eintreffen sollte.«
Komninos blickte über die Schulter des Mannes und sah, was er meinte. In nur ein paar Hundert Metern Entfernung näherte sich ein Schiff der Hafeneinfahrt. Es war
Weitere Kostenlose Bücher