Eine Geschichte von Liebe und Feuer
genäht hatte. Die Seidenbänder, die sie dafür verwendete, zeigten alle Schattierungen von Rot zu Orange, dann durch alle Nuancen von Gelb hin zu Grün- und Blautönen.
Dieser Laden wäre ein Paradies für meine Mutter, dachte Katerina. Wenn sie in dieser Stadt wäre, würde sie auf jeden Fall hierherkommen. Mit einer für ein Kind ungewöhnlichen Kühnheit öffnete sie die Ladentür und trat ein.
Im selben Moment ertönte ein helles Klingeln. Es sollte dem Ladenbesitzer sagen, dass Kundschaft da war, doch niemand tauchte auf. Im Gegensatz zu dem prachtvollen ÃuÃeren war es im Innern des Ladens düster, aber der schmale Lichtstrahl, der durch die Tür einfiel, lieà die Behälter mit Perlen aufleuchten, die wie Bonbongläser auf den Regalen standen.
Katerina schloss die Tür und strich mit dem Finger über die aufgereihten Bänderrollen. Die Seide fühlte sich so wunderbar an, dass sie nicht widerstehen konnte, eine Spule herauszunehmen und das Band in ihre Hand entrollen zu lassen. Dann hörte sie ein Husten. Mit einem dumpfen Laut fiel die Spule zu Boden. Im nächsten Moment flammte ein Streichholz auf, und der Schatten eines Riesen erhob sich über ihr.
Mit vor Angst klopfendem Herzen rannte sie zur Tür, aber dort angekommen, sah sie jetzt jemanden an der Ladentheke stehen. Es war kein Riese, sondern ein gewöhnlicher Mann mit weiÃem Haar und einer Brille auf der Nase.
Das Gefühl, flüchten zu müssen, legte sich augenblicklich. Was konnte er ihr schon antun hinter dem Ladentisch? Der Wunsch, ihre Mutter aufzuspüren, war stärker als alle Angst.
»Kann ich dir helfen?« Sein Tonfall klang freundlich und sanft. Wie die Stimme eines GroÃvaters. »Ich schätze, du suchst etwas für dein Haar?«
Obwohl sie keine Angst mehr verspürte, war sie immer noch zu erschrocken, um sofort antworten zu können.
»Du kannst ein kleines Stück Band haben, aber für mehr müsstest du bezahlen.«
Katerina hob die Hand an ihr Haar. Es war ungewaschen und strähnig. Vielleicht würde ein kleines Stück Band helfen, es besser zusammenzuhalten.
»Welche Farbe möchtest du?«, fragte er und griff nach einer groÃen Schere.
»Blau â¦Â«
»Blau?«, fragte er schmunzelnd. »Davon habe ich einige, vielleicht hundert verschiedene Blautöne. Babyblau, Indigoblau, Aquablau, Himmelblau, Kobalt-, Saphir-, Marineblau, Türkis ⦠Was hast du denn am liebsten?«
Katerina sah, dass er lächelte und stolz war auf die Vielfalt der Farbtöne in seinem kleinen Laden.
»Ich weià nicht. Was gefällt Ihnen denn am besten?«, fragte sie.
»WeiÃt du, das hat mich noch niemand gefragt«, antwortete er, zunehmend amüsiert über das Kind. »Wenn meine Kunden hier reinkommen, wissen sie gewöhnlich ganz genau, was sie wollen, also behalte ich meine eigenen Vorlieben lieber für mich.«
»Meine Mutter ist genauso«, antwortete Katerina. »Wenn sie ein Kleid für mich näht, weià sie immer ganz genau, was sie will. Ich darf nie auswählen. Also sagen Sie mir bitte, was ich nehmen soll.«
»Nun, in dem Fall verrate ich dir meine Lieblingsfarbe. Ich hab nicht mehr viel davon übrig, weil sie sehr speziell ist und neuerdings einige reiche Damen ihre Hüte damit einfassen.«
Er steckte die Schere in seine Schürzentasche, schob die Holzleiter an den Regalen entlang, stieg hinauf, griff ins oberste Regal und nahm eine Rolle heraus.
»Es ist ein Marineblau«, rief er nach unten. »Aber dieses hat einen goldenen Faden in der Mitte. Ich hab ihn selbst eingezogen. Und den Damen scheintâs zu gefallen.«
Auf seiner Leiter balancierend, schnitt er zwei etwa fünfzehn Zentimeter lange Stücke ab und legte die Rolle danach zurück.
Wieder unten auf dem Boden, reichte er Katerina, die in der Zwischenzeit ihr Haar zu Zöpfen geflochten hatte, die Bänder.
»Danke«, sagte sie und band sie zu zwei Schleifen. Das blit zende Gold darin stand in krassem Widerspruch zu ihrem schmutzigen Kleid. »Vielen herzlichen Dank! Sie sind wunderschön.«
Sie inspizierte die Bänder in ihrem Haar eingehend und strich bewundernd über den goldenen Faden.
»Ich suche nach meiner Mutter. Sie macht Kleider. Ist sie vielleicht vorbeigekommen, um bei Ihnen Bänder zu kaufen?«
Die Art, wie sie fragte, lieà den Ladenbesitzer
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