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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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der Scheibe: eine Frau, doppelt so alt wie sie, mager und abgerissen, mit dünnem, ungekämmtem Haar. Sie starrte die Gestalt traurig und ungläubig an.
    Â»Kyria Eugenia! Kyria Eugenia! Kommen Sie und schauen Sie sich das an!«
    Katerina zerrte aufgeregt an ihrer Hand, und Eugenia ließ sich bereitwillig von dem Bild der Frau wegziehen, die sie geworden war.
    Â»Sehen Sie doch nur, all diese Knöpfe! Und all die Bänder! Können wir da reingehen?«
    Eugenia wusste, dass Katerinas Mutter Schneiderin gewesen war und dass das Kind deren Leidenschaft fürs Nähen und Sticken geerbt hatte. Die Aufregung des Mädchens war fast genauso groß wie ihre eigene beim Anblick der bunten Farben und des reichen Angebots.
    Â»Nicht jetzt, Katerina. Aber wir kommen ein anderes Mal wieder her.«
    Im Lauf der vergangenen Stunde war die Stadt erwacht. Mehrere Leute bevölkerten inzwischen die Irinistraße, einige kehrten die Hausstufen, andere machten sich auf den Weg zum Markt oder zur Arbeit. Eugenia wusste, dass sie eine Fremde war, und nahm es hin, dass man sie anstarrte. Der Anblick ihres Spiegelbilds im Schaufenster des Kurzwarenhändlers hatte ihr gezeigt, wie dünn und krank sie nach den Monaten auf Lesbos aussah, und sie schämte sich ihrer schäbigen Kleider.
    In dem Moment fragte sie sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, in die ländliche Gegend außerhalb Thessalonikis zu ziehen, wo sie zumindest mit anderen Flüchtlingen zusammen gewesen wäre, vielleicht sogar mit Leuten aus ihrem Dorf. Vielleicht wäre es ein Trost gewesen, in der Gesellschaft von Menschen zu leben, die ihre Erfahrungen von Angst und Flucht geteilt hatten, statt sich hier als Außenseiterin zu fühlen.
    Im Vorbeigehen versuchte sie, mit einem oder zwei Passanten Blickkontakt aufzunehmen, was aber mit ausdrucksloser Miene quittiert wurde. Selbst die Gegenwart der kleinen Katerina an ihrer Seite entlockte niemandem ein freundliches Lächeln.
    Eine Stimme dicht hinter ihr riss sie aus diesen Gedanken.
    Â» Kalimera! Guten Morgen!«
    Eugenia erschrak.
    Eine Frau holte sie ein. Sie hielt einen kleinen Jungen an der Hand, der mit den Fersen auf den Boden einhackte.
    Â»Guten Morgen«, wiederholte sie. »Ich glaube, Sie sind unsere neue Nachbarin?«
    Â»Guten Morgen«, erwiderte Eugenia höflich, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sich ihr Akzent für die Einwohner fremd anhören musste. »Wir wohnen dort oben auf der linken Seite.«
    Eugenia deutete auf ein Haus gleich oben an der Straße und schämte sich ein wenig wegen seines schlechten Zustands.
    Â»Ich bin Pavlina, und wir wohnen direkt neben Ihnen, also wenn es irgendetwas gibt, womit wir Ihnen helfen können …«
    Â»Danke«, antwortete Eugenia lächelnd. »Ich bin sicher, es gibt eine Menge, was ich lernen muss. Wir versuchen, uns einzugewöhnen, aber es ist alles sehr neu für uns.«
    Â»Und wie heißt Ihr kleines Mädchen?«, fragte Pavlina und beugte sich zu dem Kind hinab.
    Â»Ich heiße Katerina«, antwortete Katerina. »Aber das ist nicht …«
    Â»Ich bin sicher, du und Dimitri werdet gute Freunde«, unterbrach sie Pavlina.
    Die Kinder beäugten sich misstrauisch. Dimitri hackte weiterhin mit den Fersen Löcher in den staubigen Boden, und Katerina verbarg sich in den Falten von Eugenias Rock. Dass sie Freunde werden könnten, erschien beiden Kindern eher unwahrscheinlich.
    Es dauerte länger als nur ein paar Tage, bis sich Eugenia und die Mädchen in der neuen Umgebung eingelebt hatten. Sie hatten das Haus geputzt und alle Gegenstände ihrer türkischen Vorgänger umgestellt, aber der Geruch von altem Staub und Gewürzen war tief in die Bodendielen eingedrungen. Es würde Monate dauern, bis sie vergaß, dass der Tisch, die Stühle, die Töpfe und Pfannen einst jemand anderem gehört hatten, und Eugenia fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie nicht mehr die Gegenwart einer anderen Frau in der Küche spürte.
    Die neugierigen Blicke der Nachbarn machten bald einem beifälligen Lächeln Platz. An einem der nächsten Tage, auf dem Rückweg vom Hafen, wo sie ihre tägliche Brotration geholt hatte, sprach Pavlina Eugenia erneut an.
    Etwas kühner inzwischen, fragte Eugenia, wem ihr Haus früher gehört habe.
    Â»Hat man Ihnen das nicht gesagt?«, fragte Pavlina. »Das kommt mir aber

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