Eine Geschichte von Liebe und Feuer
im Freien aufhielten, trafen sie Dimitri und Elias und sahen ihnen beim tavli -Spielen zu oder kickten zusammen mit den Jungs einen Ball durch die Gasse. Eines Tages war Dimitri allein mit seinem Reifen.
»Wo ist denn dein Freund?«, fragte ihn Katerina.
»Ich weià nicht.«
»Hast du keine Geschwister?«
»Nein.«
»Oder einen Vater? Ich hab keinen.«
»Doch, ich hab einen Vater. Aber der baut gerade ein neues Lagerhaus und ein Wohnhaus für uns.«
Er erklärte ihr, dass sein Vater eine Villa an der Uferpromenade baue und dass sie eines Tages dort hinziehen würden.
Katerina hörte mit aufgerissenen Augen zu. Manchmal hatten die Zwillinge und sie die Häuser am Meer bestaunt und sich gefragt, ob sie wohl der königlichen Familie gehörten. Vielleicht erklärte dies, warum Dimitri immer so anders gekleidet war als die übrigen Kinder in der StraÃe. Die drei Mädchen kicherten oft, wenn sie ihn mit seinen gebügelten Hosen und seinem blütenweiÃen Hemd sahen. Zuweilen waren seine Knie schmutzig, aber abgesehen davon wirkte er immer wie aus dem Ei gepellt. Selbst sein Freund Elias zog ihn deswegen auf. Saul Moreno achtete zwar darauf, dass seine Söhne ordentlich angezogen waren, schon weil es sonst ein schlechtes Aushängeschild für seine Schneiderei gewesen wäre, aber selbst wenn sie den Tag mit frischen Kleidern begannen, war bereits um die Mittagszeit nicht mehr viel übrig von der Sauberkeit.
»Wir schauen uns manchmal die Schiffe an«, sagte Katerina, »ganz allein. Warum kommst du nicht mit?«
Dimitri hatte seinen Vater über diese »neuen« Griechen reden hören und wusste, dass er sich von ihnen fernhal ten sollte. Er hatte sogar gehört, dass sie mit »Joghurt getauft« seien, was ihm sehr unhygienisch erschien. Als er jetzt neben dem Mädchen stand, stellte er allerdings fest, dass es überhaupt nicht schlecht roch. Sein Vater musste sich also getäuscht haben. Erst Jahre später fand er heraus, dass es sich bei der Formulierung um ein Schimpfwort für Christen handelte, die im Rahmen der Umsiedlung hergezogen waren.
Dimitri hätte gern gemeinsam mit Katerina Thessaloniki erkundet, aber seine Mutter ängstigte sich aus zwei Gründen: Zum einen hatte sie im Lauf der vergangenen Monate eine heftige, wenn auch irrationale Scheu vor der Stadt entwickelt, und alles jenseits der IrinistraÃe flöÃte ihr regelrecht Angst ein. Der andere Grund, weshalb sie Dimitri ständig bei sich haben wollte, bestand darin, dass sein Vater ihnen jederzeit einen Besuch abstatten konnte. Obwohl er nie lange blieb, kam er gewöhnlich zweimal die Woche. Dimitri wusste, warum so penibel auf seine Sauberkeit geachtet wurde, warum er jeden Tag ein frisches Hemd anziehen und morgens und abends Gesicht und Fingernägel schrubben musste. Diese Vorkehrungen waren »nur für den Fall«.
Wenn Konstantinos Komninos dann abends in der Irini straÃe auftauchte, schaute er auf einen Sprung bei Saul Moreno vorbei, der zu seiner umfangreichen jüdischen Kund schaft zählte, aber sein Hauptinteresse galt der Inspektion seines Sohnes. Prüfend sah er ihn jedes Mal von oben bis unten an, und einmal zog er ihn sogar am Ohr, um sich zu vergewissern, dass es auch dahinter sauber war.
Eines Tages jedoch kam Konstantinos aus einem anderen Grund. Dimitri wurde nach oben geschickt, wo er auf seinem schmalen Bett saà und den von unten heraufdringenden Geräuschen lauschte. Plötzlich wurde die Stille von einem unbekannten Laut durchschnitten â dem Schluchzen seiner Mutter. Leise kroch er zur Treppe, um zu lauschen.
Es hörte sich an wie die Melodie und Begleitung eines Klavierstücks: auf der einen Seite Olgas Weinen, auf der anderen die Stimme seines Vaters. Es gab viele Wörter, die Dimitri nicht verstand oder nicht einordnen konnte, aber einige waren ihm vertraut. Darunter »Smyrna« und »Kleinasien«.
Das Schluchzen seiner Mutter irritierte ihn so sehr, dass er die Treppe hinunterstieg. Sein Vater saà Olga gegenüber und hielt ein Blatt Papier in der Hand. Als sein Sohn am Fuà der Treppe auftauchte, blickte er auf.
»Dimitri!«, rief er ärgerlich.
»Dimitri«, wiederholte seine Mutter leise, »geh wieder nach oben, Liebling, schnell.«
Aber Dimitri blieb wie angewurzelt stehen. So hatte er seine Mutter noch nie gesehen. Ihr gewöhnlich perfekt frisiertes
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