Eine Geschichte von Liebe und Feuer
und Stühle, ein Bettchen für das Baby und eine Couch für Katerina. Als wollte sie ihren Fantasien noch weitere Nahrung geben, erzählte ihr eine der Nachbarinnen in der Garderobe von Leuten, die in der Lage wären, Kontakt zwischen ihr und ihrer Tochter herzustellen.
»Sie könnten sie vielleicht finden und einen Brief übergeben. Warum schreibst du ihr nicht und wartest ab, was sich ergibt? Einen Versuch wäre es doch wert, oder?«
Am nächsten Tag machte Zenia sich auf den Weg zur Flüchtlingsbehörde.
»Meine Tochter ist noch zu klein, um richtig lesen zu können«, erklärte sie einer Frau, vor deren Schreibtisch sie stand, »aber jemand kennt vielleicht ihren Namen und weiÃ, wo sie ist â¦Â«
»Ja«, antwortete die Frau und wiederholte Zenias Worte wie ein Papagei, allerdings mit starkem französischem Akzent. »Irgendwer, irgendwo könnte wissen â¦Â«
Die Frau sah den Brief gleichgültig an und warf ihn schlieÃlich auf einen Stapel auf ihrem Schreibtisch.
»Katerina Sarafoglou«, stand auf dem Umschlag. »Früher wohnhaft in Smyrna.«
Zenia hatte wenig Hoffnung, dass der Brief jemals sein Ziel erreichen würde, aber was sonst konnte sie tun? Er war wie ein Pfeil, der blind ins Dunkel geschossen wurde.
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M ehrere Jahre lang schrieb Katerina gewissenhaft Brief um Brief, erhielt aber nie eine Antwort. Dennoch gab sie nicht auf. Auch wenn die Verzweiflung darüber, dass sie ihre Mutter nicht finden konnte, im Lauf der Zeit ein wenig schwächer wurde, nahm ihre Schreibfertigkeit ständig zu. Sie schilderte ausführlich, was sie gemacht und wie sie ihre Tage verbracht hatte. Es war das Tagebuch eines sehr glücklichen Kindes.
Jeden Brief brachte Eugenia zur Flüchtlingsbehörde, die ihn an die Post weiterleitete. Die Amerikanerin war nicht mehr dort, wie Eugenia feststellte, und das Personal war reduziert worden. Die schlimmste Krise der Umsiedlungs aktion war überstanden, und der gröÃte Teil der Flüchtlinge lebte nicht mehr in Lagern, sondern in neu gebauten Dörfern im Norden. Die Suppenküchen waren zwar noch in Betrieb, aber die meisten Leute verdienten jetzt ihren Lebensunterhalt selbst, indem sie Tabakblätter oder Rosinen sortierten, webten und schneiderten. Leute, die etwas konnten, hatten schlieÃlich einträgliche Anstellungen gefunden.
Olga hatte Eugenia Geld geliehen, um einen Webstuhl zu kaufen, und ihr kleines Haus war erfüllt von seinem rhythmischen Klappern.
»Ich möchte das Geld nicht zurückhaben«, sagte Olga, »aber eines Tages, wenn mein Haus zum Einzug bereit ist, hätte ich als Gegenleistung gern einen schönen Teppich.«
Eugenia lächelte. Das Geld, das sie mit Weben verdiente, reichte gerade aus, um Essen und Kleidung zu kaufen, weshalb ihr Olgas Vorschlag sehr gelegen kam. Die Villa nahm zwar langsam Form an, aber es würde noch eine Weile dauern, bis sie ihren »Auftrag« fertigstellen müsste.
Katerina liebte es, zuzusehen, wie die Teppiche vor ihren Augen wuchsen. Die Zwillinge hingegen waren weniger interessiert. Das Weben erinnerte sie an die Zeit in ihrem früheren Zuhause, bevor sie nach Griechenland kamen. Das Rattern des Webstuhls und der Anblick der Wollberge zu FüÃen ihrer Mutter versetzte sie an einen fast vergessenen Ort zurück, und sie wussten nicht recht, ob ihre vagen Erinnerungen eher bitter oder angenehm waren. Eugenia widerstand Katerinas Bitten, sie am Webstuhl herumspielen zu lassen. Bei den Teppichen brauchte man eine sichere Hand, und jede UnregelmäÃigkeit würde ihren Wert sofort mindern. Also saà Katerina neben ihr und beschäftigte sich mit einer Stickerei, die sie unter Anleitung von Roza Moreno, einer Expertin auf diesem Gebiet, ausführte.
Roza Moreno ging nicht jeden Tag in die Schneiderei, sondern arbeitete viel zu Hause und legte letzte Hand bei den Kleidungsstücken an, die im Atelier ihres Mannes gefertigt wurden. Da sie nur zwei Söhne und keine Tochter hatte, bereitete es ihr groÃe Freude, ihr Können an Katerina weiterzugeben und sie zum Sticken bunter Seidenbilder anzuregen, genauso wie sie es im Alter von neun Jahren getan hatte. Und im Lauf der Monate begannen Katerinas kleine Finger sogar noch feinere Muster herzustellen, als sie selbst zuwege brachte.
Die Familien in der IrinistraÃe wuchsen enger zusammen. Die Häuser hatten zwar Türen, aber die
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