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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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Mädchen davon zu überzeugen, dass ihre Zukunft in der großen Tabakproduktion lag, die im Norden Griechenlands florierte.
    Katerina kauerte in der Ecke. Sie war noch zu jung, um von den Tabakbauern aufs Korn genommen zu werden, aber sie wäre für deren Werbefeldzug ohnehin nicht zugänglich gewesen. Wann immer diese Debatte aufkam, schlüpfte sie hinaus und ging nach nebenan.
    Roza Moreno hatte es gern, wenn Katerina zu ihr kam. Sie war zwar immer beschäftigt, egal zu welcher Tageszeit, aber sie plauderte gern bei der Arbeit. Gewöhnlich stand ein Kleiderständer in ihrer Nähe, auf dem sich dicht an dicht die Jacken mit den makellos gesäumten Knopflöchern und frisch angenähten Knöpfen reihten, die sie an diesem Tag fertiggestellt hatte. Der krönende Abschluss jedoch war erst erreicht, wenn das Etikett aufs Satinfutter genäht war: » MORENO & SÖHNE , Schneidermeister in Thessaloniki«.
    Â»Jedes Mal, wenn ich mit einem Kleidungsstück fertig bin und diese Worte lese«, sagte sie zu Katerina, »bin ich stolz.«
    Der Gründer der Schneiderei war Sauls Großvater gewesen, und die Handwerkskunst war über drei Generationen weitergegeben worden. Dank ihrer beiden Söhne würde es eine vierte Generation geben.
    Den größten Teil des Tages verbrachte Roza Moreno mit Herrenanzügen, die im Winter aus Wolle und Tweed und im Sommer aus Leinen gefertigt waren. Unzählige Male hatte Katerina zugesehen, wie sie fein säuberlich und stets im gleichen Takt ein Knopfloch nähte. Es faszinierte sie, ein menschliches Wesen zu beobachten, das so zuverlässig wie eine Maschine arbeitete, aber das war nicht der eigentliche Grund ihrer Besuche.
    Roza legte nicht nur letzte Hand bei Anzügen an, sie galt auch als Spezialistin für feine Häkel- und Stickarbeiten, die bei Brautausstattungen begehrt waren. Dafür hatte sie unter den reichen Europäern einen sehr guten Ruf, und dieses kleine Mädchen mit seinen ungewöhnlich geschickten Fingern zu unterrichten war für sie die reine Freude. Sie brachte Katerina alles bei, angefangen von der Grundvoraussetzung, die Haut an den Händen glatt zu halten, damit nichts hängen blieb, bis hin zu der Notwendigkeit, bei der Verarbeitung die Webrichtung eines Stoffs zu beachten. Die kleinen Details waren entscheidend, die man sich von Anfang an gut einprägen musste.
    Sehr bald, nachdem Katerina ein paar ihrer Stiche kopiert hatte, konnte Roza nicht mehr sagen, welche von ihr und welche von dem Kind stammten. Roza Moreno war eine Virtuosin, aber Katerina, ihre Schülerin, ein Wunderkind.
    An jenem Abend, als wieder einmal der Streit über die Tabakfabriken in vollem Gang war, freute sich Roza Moreno wie immer, dass Katerina zu ihr kam. Es bedeutete, dass sie die Arbeit an dem Männerjackett weglegen und sich ihrer wahren Leidenschaft widmen konnte.
    Â»Hallo, Katerina!«, sagte sie. »Wie geht’s dir heute?«
    Â»Sehr gut, danke. Und wie geht’s Kyria Moreno heute?«
    Sie machte mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung der Ecke, wo Roza Morenos Schwiegermutter saß. Die alte Frau war sehr still in letzter Zeit und schien von ihrer Umwelt so gut wie nichts mehr wahrzunehmen. In ihrer prachtvollen sephardischen Tracht erinnerte sie an eine Wachspuppe, die man nur noch wie ein Kunstwerk stumm bewundern konnte.
    Â»Uns geht’s sehr gut, nicht wahr, Kyria Moreno?«
    Roza Moreno hatte sich angewöhnt, für ihre Schwiegermutter zu sprechen, daher entspann sich oft ein seltsamer Monolog vor der geistig abwesenden alten Dame.
    Â»Also, sollen wir die Kiste runterholen?«
    Katerina zog einen Stuhl zu einem hohen Regal und stieg hinauf, um eine Holzkiste herunterzuholen. Sie war fast so groß wie sie selbst, aber sie schaffte es, sie zu Roza Moreno hinuntergleiten zu lassen, die sie in die Mitte des Tischs stellte.
    Katerina strich über den Deckel und zeichnete mit dem Finger das feine Intarsienbild eines Granatapfels nach, das darin eingelassen war. Die Kiste war oval, mit blassrosa Seide ausgeschlagen, und der Deckel gepolstert. Kleine Fächer beherbergten Fadenspulen, Saumbänder aus Gaze, pastellfarbene Seidenstränge, und in der Polsterung des Deckels steckten nach ihrer Größe geordnete Nadeln.
    Aus einer kleineren Schachtel nahm Roza Moreno zarte Wäsche, die zwischen mehreren Lagen Seidenpapier ruhte. Es war ein Auftrag für die Tochter eines

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