Eine Geschichte von Liebe und Feuer
schienen an vielen Stellen ebenfalls vergoldet zu sein.
Dimitri klopfte an eine Tür am Ende der Treppe. Sie hörten ein leises »Herein«.
Olga saà in einem groÃen Sessel am Kamin, die FüÃe auf einen anderen Sessel gelegt. Sie las. Ãberrascht blickte sie auf und wirkte etwas verwundert, ihren Sohn mit einer jungen Frau zu sehen, die sie nicht gleich erkannte.
»Mutter, Katerina ist hier! Sie bringt ein Paket von Moreno.«
»Katerina! Ich hätte dich fast nicht erkannt.«
Ihr Gesicht und ihre Augen waren unverändert, genauso die Offenheit ihres Ausdrucks und ihr breites Lächeln, aber ihr Haar, das sie früher in langen, bis zur Taille reichenden Zöpfen getragen hatte, war zu einem Pagenkopf geschnitten.
Ansonsten sah Olga eigentlich noch ganz wie früher aus, wenn auch ein bisschen dünner.
Vielleicht war sie ja doch krank, dachte Katerina, was erklären würde, weshalb sie nie selbst zu Moreno & Söhne kam.
Sie stellte die Schachtel auf einen Stuhl neben Olga und wunderte sich über deren mangelndes Interesse, sie zu öffnen.
»Möchten Sie, dass ich es herausnehme? Ich glaube, man müsste es auf einen Bügel hängen.«
»Ach, lass nur. Das kann Pavlina tun. Ich würde gern wissen, was du in der Zwischenzeit so gemacht hast. Wie geht es Eugenia? Und den Zwillingen?«
Trotz ihrer zurückhaltenden Art und ruhigen Stimme schien Olga sehr an Neuigkeiten interessiert. Katerina begann, ihr von den Abenden mit Roza Moreno zu erzählen und dass sie nun eine Arbeitsstelle im Atelier habe.
»Jeden Tag, wenn ich aufwache, habe ich das Gefühl, als ginge die Sonne in mir auf«, schwärmte sie. »Und jeden Morgen gehe ich gemeinsam mit Isaac und Elias zur Arbeit. Ihr Vater macht sich gewöhnlich schon früher auf den Weg â¦Â«
Zehn oder fünfzehn Minuten lang beschrieb sie, ohne in nezuhalten, wie sie den Tag verbrachte, erzählte von den Men schen, mit denen sie zusammenarbeitete, berichtete, welche Musik sie auf dem Grammofon hörten und vieles mehr. Die Begeisterung über ihr Leben und ihre Arbeit waren beneidenswert. Es gelang ihr sogar, die düstere Esther Moreno sympathisch erscheinen zu lassen, obwohl sie doch immer ziemlich verbittert wirkte.
Nachdem sie geendet hatte, wusste Olga umfassend Bescheid über Katerinas Leben, genau wie Dimitri, der in der Tür stehen geblieben war und wie gebannt ihren Worten lauschte. Beim Vergleich mit Katerinas bunter Arbeitswelt schnitt die Privatschule, die er besuchte, schlecht ab. Ge wöhnlich stand er am Morgen missmutig auf, zog seinen formellen Anzug an, packte seine Bücher und machte sich rechtzeitig auf den Weg zum Unterricht. Da er am Abend zuvor bis spät in die Nacht gelernt hatte, fühlte er sich morgens immer unausgeschlafen, und ein Gefühl der Freude beim Klingeln des Weckers war ihm vollkommen unbekannt.
Als Pavlina mit einem Kaffeetablett hinter ihm auftauchte, musste er Platz machen und trat ins Zimmer.
Katerina brach ab, als er eintrat, und fühlte sich plötzlich verlegen.
»Es hört sich an, als würdest du deine Arbeit wirklich mögen«, sagte er.
»Ja, das tue ich.«
Dann brachten beide vor Verlegenheit fast gar nichts mehr heraus.
»Kaffee, Katerina?«, fragte Pavlina.
»Nein danke«, antwortete sie. »Nur etwas Wasser bitte. Und dann muss ich wieder los.«
»Das ist aber schade, Katerina«, sagte Olga. »Es hat mich so gefreut, von deiner Arbeit zu hören. Und du hast mir noch gar nichts von der IrinistraÃe erzählt. Bitte bleib doch noch ein bisschen.«
Eine Weile hatte sich Olga wie neu belebt gefühlt, als wäre die fast verloschene Glut eines Feuers wieder angefacht worden. Auch wenn ihr der Gedanke an die AuÃenwelt Angst einflöÃte und die Vorstellung, unter Menschen zu gehen, sie fast lähmte, hatte sie trotzdem Sehnsucht, am alltäglichen Leben auf den StraÃen, in den Cafés und Werkstätten teilzunehmen. Ihr Mann brachte davon nichts nach Hause, genauso wenig die Gäste bei den Einladungen, deren steife Höflichkeit ihr Gefühl von Einsamkeit und Isolation nur noch verstärkte.
Mit Katerina war ein frischer Wind hereingeweht. Ganz so, als hätte jemand das starre Arrangement aus Rosen und Chrysanthemen aus der Vase genommen und durch einen Strauà frischer Wildblumen ersetzt, um dessen Blüten noch Bienen summten.
Dimitri
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