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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hislop
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geworden, daher hätten Dimitris juristisches Wissen und Sachverstand einen großen Vorteil für die Firma bedeutet. Ein Medizinstudium hingegen würde dem Betrieb gar nichts einbringen.
    Konstantinos hielt sich jedoch nicht lange mit dem Ungehorsam seines Sohnes auf, genauso wenig wie mit den meisten Hindernissen, die sich ihm in den Weg stellten. Die große Freude seines Lebens bestand darin, Herausforderungen zu meistern, sei es in Form von Konkurrenten, Lieferanten oder neuerdings Fabrikarbeitern.
    Er hatte den finanziellen Einbruch der frühen Dreißiger jahre überstanden, als die meisten seiner Konkurrenten unter der Last ihrer Schulden zusammenbrachen, und stand jetzt stärker da als je zuvor. Wenn ihm ein solcher finanzieller Erfolg in Zeiten immenser politischer und ökonomischer Unsicherheit gelang, war es kaum auszudenken, was er in künftigen Jahren noch alles erreichen konnte.
    Jeden Morgen machte er sich voller Erwartung und Selbst vertrauen an die Arbeit. Alles schien sich aufs Beste zu entwickeln. Auf seinem Gebiet konnte ihm niemand das Wasser reichen.
    Dimitri lernte in der Zwischenzeit eine neue Welt kennen, einen Ort mit Ideen und Ansichten, die auf anderen Grundsätzen als wirtschaftlichen Notwendigkeiten beruhten. Im Gegensatz zu den Lehrern an seiner Schule, die von den Eltern bezahlt wurden, um ihren Schülern bestimmte Prin zipien und Überzeugungen einzutrichtern, waren die Universitätsprofessoren unabhängigere Geister. Neben Anatomie- und Pharmakologievorlesungen besuchte er auch solche über Philosophie und war bald in Debatten verstrickt, die sich um die Erkenntnis von Wahrheit und das Verhältnis von Glauben und Wissen drehten. Es folgten Vorlesungen über politische Theorie, und Dimitri begann, eigene Ansichten über gesellschaftliche Zusammenhänge zu entwickeln.
    Die Realität, die ihn umgab, war ihm nie gleichgültig gewesen, und seine Kindertage in der Irinistraße hatten ihm Einblicke in die ärmeren Viertel Thessalonikis verschafft, die vielen seiner Kommilitonen fehlten. Dennoch hatte er wirklich bittere Armut nie am eigenen Leib erfahren müssen, und er musste sich eingestehen, dass er auf eine Weise aufgewachsen war, die mit dem Leben der Mehrheit der Bevölkerung nichts zu tun hatte.
    Vielleicht war es gut, dass er während dieser Zeit seinen Vater nicht oft sah. Sie wären schrecklich aneinandergeraten. Dimitri war mit allen Arten neuer politischer Ideen konfrontiert und merkte bald, dass sich sein Vater nicht nach irgendeiner klar umrissenen Ideologie ausrichtete, weder politisch noch spirituell. Sein wahrer Gott war Geld. Er glaubte an die griechisch-orthodoxe Kirche als Institution und Eckpfeiler der Nation, gab sich aber nur religiös, wenn es ihm lohnend erschien. Genauso wenig hatte Konstantinos Komninos eine feste Beziehung zu einer bestimmten politischen Partei. Er war von Natur aus konservativ. Der Zustrom an Flüchtlingen in den vergangenen zehn Jahren hatte ihn beunruhigt, und die Kosten, die dies verursachte, empörten ihn ebenso wie das veränderte Straßenbild. Unter den ausreisenden Muslimen hatte er keine Freunde gehabt, also weinte er ihnen keine Träne nach, als sie verschwanden. Er wählte pragmatisch, war weder ein glühender Konservativer noch ein glühender Royalist und hatte nie ein Porträt des exilierten Königs an der Wand hängen gehabt. Gesetz und Ordnung und Kontrolle der Arbeiterklasse waren gut fürs Geschäft. Und dass nach dem kürzlich fehlgeschlagenen Militärputsch Säuberungsaktionen in Armee und Universität durchgeführt wurden, fand seine volle Unterstützung.
    Bei Dimitri jedoch entwickelte sich ein rapide anwachsendes Gefühl des Unbehagens. Er wohnte in einem luxuriösen Herrenhaus und sympathisierte doch instinktiv mit der Mehr heit derer, die arm waren. Dieser Widerspruch war schwer aufzulösen, aber er hoffte, seine medizinische Ausbildung würde ihm zumindest die Möglichkeit geben, den weniger wohlhabenden Einwohnern der Stadt zu helfen.
    Â»Versuch einfach, das Beste daraus zu machen«, sagte Olga schlicht, nachdem sie sich das Dilemma ihres Sohnes angehört hatte, von dem ihr Ehemann natürlich nichts erfahren durfte.
    Dimitri ging seinem Vater möglichst aus dem Weg. Was sich nicht schwierig gestaltete, weil Konstantinos selten zu Hause war.
    Eines Morgens während seines zweiten Studiensemesters sah er

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