Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Tages, als sie zu fünft â Dimitri, Vassili, Lefteris, Manoli und Alexandros â eine Flasche tsikoudia geleert und die dringendsten politischen Probleme durchdiskutiert hatten, verkündete Vassili, dass er seine Freunde zu einem Konzert mitnehmen wolle. In der Stadt trete ein berühmter Rembetiko-Sänger auf, den sie unbedingt hören müssten.
Dimitris Vater lehnte praktisch alle Arten von Musik ab, deshalb gab es auch kein Grammofon in Komninosâ Haus. Dennoch hatte Dimitri in den vergangenen Wochen eine Menge mitbekommen. In allen StraÃen der vergnügungssüchtigen Stadt erklang Musik, und egal ob es regnete oder die Sonne schien, versammelten sich Menschenmengen, um Klarinettespielern aus den Bergen, Mandolinen-Ensembles oder Trommelgruppen zuzuhören.
In den meisten Cafés gab es inzwischen Radios, und aus den knisternden Lautsprechern an der Wand hatte Dimitri Rembetiko, die »Musik des Untergrunds«, die Musik des Leidens, gehört. Er mochte die nostalgischen Gesänge der Menschen, die um ihre verlorene Heimat trauerten, hatte die Musiker bisher aber noch nie spielen sehen. Es hatte immer Arbeiten gegeben, die fertiggestellt, und Bücher, die gelesen werden mussten.
»Komm, Dimitri, dein Referat kann warten. Dieser rebetis nicht.«
Sie gingen in Richtung Bahnhof, in eine StraÃe mit vielen tekhedes , Rembetiko-Klubs, Haschisch-Bars und Bordellen, und Dimitri dachte beinahe befriedigt, wie wütend sein Vater wäre, wenn er davon erfahren würde. Aber wie sollte er Lebenserfahrungen sammeln, wenn er nie die schön gepflasterten Gehsteige der bürgerlichen Viertel verlieÃ? Vassili führte sie zielgerichtet durch einen niedrigen Eingang in einen schmuddeligen Raum, der nur schwach beleuchtet und völlig verräuchert war. Es herrschte dichtes Gedränge, und sie kämpften sich zu einem noch freien Tisch durch. Kurz darauf wurden eine Flasche mit klarer Flüssigkeit und sechs Gläser auf den Tisch geknallt.
Drei Musiker spielten bereits, einer auf der Bouzouki und zwei auf der Baglama, ihrer höher gestimmten Schwester. Der Rhythmus war eingängig und hatte beinahe etwas Drängendes, und die Atmosphäre war mit Erwartung aufgeladen.
SchlieÃlich tauchte aus einem Hinterzimmer die groÃe Attraktion auf und bahnte sich den Weg durch die Menge. Das dauerte einige Zeit, weil er immer wieder stehen blieb, um Leuten die Hand zu schütteln und an beinahe jedem Tisch einen Drink entgegenzunehmen, bevor er schlieÃlich das leicht erhöhte Podest erreichte, das als Bühne diente. Er war ein attraktiver, charismatischer Mann, elegant gekleidet in einem Anzug mit blütenweiÃem Hemd.
»Das ist Stelios Keromitis«, rief Vassili über den Lärm hinweg. Er war ein Rembetiko-Star aus Piräus und ein paar Abende lang in Thessaloniki.
Als er schlieÃlich bei seinen Musikerkollegen angelangt war, nahm Keromitis seine Bouzouki und setzte sich. Er stimmte das Instrument, klemmte seine Zigarette zwischen den kleinen und den Mittelfinger der linken Hand, nickte den anderen zu und fing zu spielen an. Nach ein paar einleitenden Akkorden begann er zu singen. Es klang wie das Heulen eines verletzten Tiers, dunkel, voller Schmerz und Leid, und passte zu den Texten, die von Tod, Krankheit und Trennung erzählten. Diese Themen waren alltägliche Realität in den schmutzigen Gassen, die die jungen Männer auf ihrem Weg zum Lokal durchquert hatten.
Im Lauf der Nacht begannen auch die Zuhörer mitzusingen, und gelegentlich ging Keromitisâ Stimme fast unter in ihrem Gesang. Gegen drei Uhr morgens erhob sich ein Mann vorn an der Bühne, und die umstehenden Tische wurden beiseitegeschoben. Langsam, mit einer Zigarette zwischen den Fingern, die Arme seitlich ausgestreckt und den Kopf zur rechten Schulter geneigt, begann er sich zu drehen.
Der Tänzer war schlank und kräftig, und sein offenes Hemd enthüllte einen muskulösen Oberkörper. Seine Freunde klatschten langsam und rhythmisch mit, während er sich drehend immer weiter nach unten in die Hocke bewegte und auch nicht das Gleichgewicht verlor, als er sich wieder erhob. Er schien wie in Trance zu sein und sprang gelegentlich, als zöge er Energie aus dem Boden, hoch in die Luft.
Dimitri bemerkte, dass zwei Frauen, vermutlich Prostituierte, im hinteren Teil des Raums die Köpfe reckten, um ihm zuzusehen. Eine von ihnen stellte sich sogar auf
Weitere Kostenlose Bücher