Eine Geschichte von Liebe und Feuer
einen Stuhl, um über die Menge hinwegzublicken.
Diese Frauen, die für Geld ihren Körper verkauften, hätten dem selbstvergessenen Tänzer ihre Dienste sogar kostenlos geboten, so sehr waren sie von seinem sehnigen Leib und seiner offensichtlichen Gleichgültigkeit gegenüber ihren bewundernden Blicken fasziniert.
Seine Darbietung schlug alle, Männer wie Frauen, in Bann, und niemand schenkte dem berühmten Sänger mehr Beachtung. Die Macht des zeibekiko verzauberte jeden. SchlieÃlich, nachdem ein paar Gläser zu FüÃen des Tänzers zersprungen waren, was als Zeichen der Bewunderung und des Ansporns galt, wechselte die Musik, und der Mann kehrte zu seinem Sitz zurück.
Gegen fünf Uhr morgens, als Keromitis schlieÃlich erschöpft war, verlieÃen Dimitri und seine Freunde das Lokal. Die StraÃen waren vom rosigen Licht der Morgensonne erfüllt, und sie schlenderten in ein nahe liegendes Café.
»Lasst uns etwas essen«, sagte Vassili, der Anführer der Gruppe.
Die Mischung aus Haschisch und Musik hatte ein Hochgefühl in den jungen Männern ausgelöst. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass Dimitri eine ganz Nacht durchgemacht hatte, und er war erstaunt über die gesteigerte Aufmerksamkeit, die dies bei ihm auslöste. Die überwältigende Atmosphäre in dem Lokal, die Eindringlichkeit der Musik und die starke Kameradschaft in dieser Studentengruppe, all dies hatte ihm ein ganz neues Gefühl davon vermittelt, was es hieÃ, lebendig zu sein. Er fand das Klima in diesem verbotenen Teil der Stadt unerwartet verlockend und fragte sich, wie sich die Bourgeoisie mit Diners in teuren europäischen Restaurants oder mit Soireen in vornehmen Häusern zufriedengeben konnte, wenn ganz in der Nähe eine Kultur von so groÃer emotionaler Intensität existierte.
Wenn er erst wieder nüchterner wäre, um darüber nachzudenken, würde er die Antwort darauf schon finden. An diesem Morgen jedoch, als er vor seiner mayiritsa- Suppe saà und die warme, nahrhafte Einlage aus Lamminnereien löffelte, konnte er sich nicht vorstellen, dass nicht jeder andere liebend gern an seiner Stelle gewesen wäre.
»Ich gehe heim und schlaf noch ein bisschen, bevor die Vorlesung beginnt«, verkündete Vassili.
Die anderen stimmten murmelnd zu, und jeder legte ein paar Drachmen auf den Tisch, bevor sie das Café verlieÃen und in verschiedene Richtungen davongingen.
Dimitri hatte eine vage Vorstellung, welchen Weg sein Vater zur Arbeit nahm, und achtete darauf, ihm in seinem übernächtigten Zustand nicht zu begegnen.
Nach dieser Nacht wurden seine Besuche in Rembetiko-Bars häufiger, und die düstere Schäbigkeit der Musikkneipen schien ihm das wahre Wesen der Stadt näherzubringen. Mochten vielleicht auch die aufrüttelnden Texte über zerbrochene Liebe und ein ruiniertes Leben mit seinen Erfahrungen nichts gemein haben, so berührten und faszinierten sie ihn dennoch.
Die Zuhälter, die Rembetiko-Sänger und die Haschischverkäufer schienen genauso zur Stadt zu gehören wie die Banker und Kaufhausbesitzer, und die Härte dieses Lebens, das sich von dem Zwang und der Ordnung in seinem Eltern haus so extrem unterschied, übte eine unwiderstehliche An ziehung auf ihn aus. Mehr als zehn Jahre lang hatte Konstan tinos Komninos dunkle Warnungen über diese gefährlichen Viertel Thessalonikis ausgestoÃen. »Da wimmeltâs nur so vor zwielichtigen Gestalten und Huren«, erklärte er Dimitri. »Halt dich fern davon.«
Auch Elias Moreno begann, sich den nächtlichen Streifzügen der Gruppe anzuschlieÃen. Dies geschah gewöhnlich nach einem erbittert und lautstark geführten tavli- Wettkampf mit Dimitri. Etwa eine Stunde lang arbeiteten sie sich durch alle drei Runden des Spiels â portes, plakoto und fevga â, hoch konzentriert und in schnellem, hämmerndem Rhythmus, bei dem keiner je aus dem Takt kam. Keine Sekunde verging zwischen dem Fall der Würfel und dem anschlieÃenden Zug, und jede Handlung hatte ihr typisches Geräusch. Zuerst das Klappern der Würfel, die gegen die Brettwand prallten, dann das leise Zischen, wenn sie wie Kreisel rotierten, und schlieÃlich das schnelle Schieben und Klacken der Steine, bevor erneut gewürfelt wurde. Vom Anfang des Spiels bis hin zum befriedigenden Moment, wenn der Stein des Verlierers auf der Mittellinie aufschlug,
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