Eine Geschichte von Liebe und Feuer
anzuwenden. »Ich denke an die Mädchen in den Tabakfabriken, die tagein, tagaus die gleichen Handgriffe verrichten, und ich weiÃ, dass ich sterben würde, wenn ich das machen müsste«, sagte sie. »Bei meiner Arbeit gleicht keine Stunde der anderen. Es gibt Dutzende verschiedener Stickarten, und jede Stickerei ist in einer anderen Farbe, in einem anderen Stoff, in einer neuen Kombination. Nie kommt zweimal das Gleiche dabei heraus.«
»Ein bisschen wie bei Musik?«, fragte Dimitri.
»Ja! Ich denke, genauso ist es«, erwiderte sie lachend.
»Es gibt nur acht Noten, aber die kann man auf unendlich viele Arten kombinieren! Also bist du wie Mozart, aber mit Fäden statt mit Noten?« Dimitri lächelte, als er sich Katerina als Komponistin vorstellte. »Elias sagt, du bist ein Wunderkind gewesen, genau wie Mozart.«
Katerina errötete. Vielleicht weil er Elias erwähnte. Dimitri war nicht sicher und versuchte, nicht daran zu denken, wie viel Zeit die beiden zusammen verbrachten.
»Ich weià nicht sehr viel über Mozart, aber ich glaube, da hat er übertrieben.«
Nur allzu schnell waren sie in der IrinistraÃe angelangt. Katerinas lebhafte, unbefangene Art bezauberte ihn. Es war, als ginge ein inneres Leuchten von ihr aus. Ihre Augen lächelten genauso wie ihr Mund, und selbst die Art, wie sie ging, schien von Glück zu künden.
Während der folgenden Tage fiel ihm auf, dass er oft an Katerina dachte und inständig hoffte, sie bald wiederzusehen. Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, und er bemühte sich auch gar nicht, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Katerina verkörperte etwas, was er eigentlich schon wusste: dass Glück und Reichtum nicht unbedingt Hand in Hand gingen. Sein eigenes Unbehagen über das Vermögen, das auf ihn wartete, war dafür Beweis genug.
Zwischen Armut und Aufruhr hingegen bestanden sehr enge Verbindungen. In Thessaloniki lebten viele Menschen unter dem Existenzminimum, und die Zeichen standen auf Sturm.
Durch seinen Vater erreichten Vassili täglich neue Nachrichten über Proteste, die Anfang Mai immer mehr zunahmen. Der laue Frühling ging in sengende Sommerhitze über, und mit den steigenden Temperaturen erhitzten sich auch die Gemüter, die Bevölkerung verlor die Geduld und stellte Forderungen. Man hörte Gerüchte über einen weit ausgedehnten Streik.
»Thessaloniki steht am Rand der Revolution«, berichtete Vassili seinen Freunden aufs Höchste erregt. »Die Tabakarbeiter treten in Streik! Morgen! Wir müssen hingehen und sie unterstützen.«
Sie hatten keine andere Wahl. Sie mussten sich mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten solidarisch zeigen, mit den Leuten, die für eine Woche Arbeit weniger bekamen, als die Reichen für ein Essen in einem der teuren Hotels der Stadt bezahlten. Durch Vassili hatte Dimitri viele Arbeiterviertel kennengelernt, und jetzt war es an der Zeit für einen demonstrativen Schulterschluss mit den Bewohnern.
Am nächsten Tag trafen sie sich an der Universität und machten sich dann zum Rathaus auf. Innerhalb kürzester Zeit waren sie Teil eines riesigen Menschenstroms. Es herrschte Begeisterung: ein sonniger Tag in dem Land, das die Demokratie erfunden hatte, ein offener Protest, der berechtigt war.
»So zeigen wir ihnen, wie wir uns fühlen!«, sagte Vassili. »Die Regierung kann das nicht ignorieren!« Er musste schreien, um sich in dem Lärm verständlich zu machen.
Die Nachricht machte die Runde, dass sich die StraÃen- und Eisenbahnarbeiter ebenfalls angeschlossen hatten, genauso die Arbeiter aus den Docks und den Elektrizitätswerken. Das Bedürfnis zu protestieren hatte sich wie eine Epidemie verbreitet, und mehr als zwanzigtausend Menschen waren auf den Beinen.
Vassili war euphorisch. »Das könnte wirklich funktionieren, wisst ihr«, sagte er. »Das ist die Macht des Volkes!«
Glücklicherweise kam es bei den Kundgebungen zu keinen ZusammenstöÃen mit den Polizeikräften, und am späten Nachmittag löste sich die Demonstration schlieÃlich wieder auf.
Bei einer unerwarteten Begegnung mit seinem Vater am Abend erfuhr Dimitri jedoch etwas, was ihn zutiefst beunruhigte.
»Nun«, sagte Konstantinos und reichte Pavlina seinen Hut, blickte aber seinen Sohn direkt an. »Es wird dich freuen zu hören, dass Metaxas der Polizei völlig freie Hand gegeben
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