Eine glückliche Ehe
flösse in meinen Adern nicht Blut, sondern Rosenöl. Es ist ein verrückter, beseligender, ins Schwerelose hinübergleitender Zustand, eine paradiesische Maßlosigkeit in einem Menschenkörper. Die ganze Welt verändert sich. Man lebt weiter, und ist doch gestorben im Schoß dieser Frau. Jeder sieht mich, jeder kann mit mir sprechen, ich bin vorhanden … und doch bin ich so völlig in ihr, in dieser Frau, daß ich plötzlich begreife: ein Mensch kann in verschiedene Teile zerfallen, ohne daß es jemand merkt.
Am Abend ging er zurück in das Palais der Dagliattis an der Via Appia antiqua. Im Grünen Salon erwartete ihn Elietta bereits in einem engen, goldenen Hosenanzug, der ahnen ließ, daß sie darunter wieder nackt war. Sie hatte den ganzen Tag geschlafen, sich erholt, war jetzt sehr munter, biß beim Begrüßungskuß Wegener in die Oberlippe und grub ihre Fingernägel durch den Anzugstoff in seinen Rücken. Bei diesem Kuß drängte sich ihr Leib gegen ihn, und wieder spürte er das Zittern, das jeden Nerv zur Schwingung brachte.
»Ein ganzer Tag ohne dich … ich halte das nicht mehr aus!« sagte sie. Ihre Schenkel vibrierten, als durchjagten sie elektrische Stöße. »Du kannst mich nie wieder einen ganzen Tag allein lassen! Du mußt mich mitnehmen. Es genügt schon, wenn ich dich anfassen kann. Dich mit den Fingerspitzen berühren. Deine Stimme höre. In deine Augen sehe. O Gott, wie verrückt sind wir …«
In diesen vier Tagen ließ ihre paradiesische Urkraft nicht nach. Sie liebten sich, als erwarteten sie beim Morgendämmern den Weltuntergang. Aber sie waren weniger tierhaft als in den ersten Stunden ihrer Begegnung. Sie biß und kratzte nicht mehr, saugte sich nicht mehr an ihm fest, sie ließ sich willenlos verströmen, ausrasen im Zucken ihres Körpers.
»Sie wird es sehen, wenn du nach Hause kommst«, sagte sie einmal. »So irrsinnig schwer es mir auch fällt: Wir müssen uns an die Zügel nehmen. Was willst du ihr sagen, wenn sie die Flecken und Kratzer sieht?«
Sie … das war Irmi. Wegener hatte schon darüber nachgedacht, welche Erklärungen glaubhaft klingen würden. Es war selbstverständlich, daß Irmi sofort erkennen würde, welcher Art diese Verletzungen waren; sie war ja selber nicht, auch heute noch nicht, eine Liebende, die nur duldete, nur zu sanften Zärtlichkeiten fähig war. Auch für Irmi und Hellmuth Wegener gab es Nächte, in denen ihre Leiber explodierten, aber sie wurden immer seltener, ohne daß sie sagen konnten, warum. Völlig erstorben war die Leidenschaft der früheren Jahre; wie oft war es damals vorgekommen, daß er aus der Apotheke oder von der Fabrik kam, Irmi zitternd vor Leidenschaft entkleidete und mit ihr auf die Couch im Wohnzimmer sank. Aber so wie jetzt, bei Elietta, wo Tage und Nächte ineinanderglitten und voller Purpur waren, hatte er es noch nie erlebt. Er versuchte sich zu erinnern und dachte an die blamablen Stunden, in denen er Sehnsucht nach Irmi spürte, von der Fabrik nach Hause fuhr, dort nur herumstand, irgend etwas sagte, so tat, als suche er etwas Bestimmtes – und wieder wegfuhr. Beim Betreten des Hauses schon hatte er gespürt, daß nichts möglich war, und als er Irmi küßte, mit einer wirklichen Verzweiflung, um sich zu zwingen, durch die Berührung ihrer Körper wieder diese treibende Sehnsucht zu wecken, ließ ihn sein Leib im Stich. Damals erwachte in ihm eine Art Panik, bis zu jener schrecklichen Szene vor ein paar Tagen, wo er weinend neben Irmi lag, vernichtet durch sein Versagen.
Um so herrlicher war sein neues Erwachen, war das Bewußtsein, immer noch eine Frau besiegen zu können, sie zur völligen Aufgabe zu zwingen, ja, sie für eine gewisse Zeit zu zerstören.
Nach diesen vier Tagen brachten René Seifenhaar, Signor Betrucci und Elietta Dagliatti gemeinsam Hellmuth Wegener zum Flugplatz. Betrucci und Seifenhaar hielten sich beim Abschied diskret zurück. Hier konnten sie mitempfinden; das Abschiednehmen löst Gefühle aus, die an hormonale Verschiebungen nicht gebunden sind.
»Wann kommst du wieder?« fragte Elietta. Sie hing an Wegeners Hals und kümmerte sich nicht einen Wimpernschlag darum, daß man sie von allen Seiten anstarrte. Viele kannten sie, vor allem die Flughafenangestellten, denn die Gräfin Dagliatti gehörte zu den Personen, die in einer Flughafenhalle fast wie zu Hause sind.
»Bald«, sagte Wegener und schielte zur Seite. »Sehr bald. Ich werde zwischen Köln und Rom hin- und herpendeln.«
»Ich liebe dich!
Weitere Kostenlose Bücher