Eine glückliche Ehe
Ich liebe dich!«
»Elietta! Die Leute …«
»Mir ist jetzt alles egal! Und wenn uns Tausende zusehen – sollen sie doch! Ich liebe dich! Eigentlich dürftest du nicht wegfliegen. Morgen werde ich wahnsinnig ohne dich …«
»Es ist unmöglich!«
»Ja. Ich weiß, weiß, weiß … Deine Werke, dein Beruf, deine Frau, deine Kinder, deine Welt, die du dir aufgebaut hast!«
»So ist es!«
»Und ich weiß auch, daß du dich nie scheiden lassen würdest …«
Er sah sie betroffen an. Daran hatte er noch nie gedacht.
»Nein!« sagte er rauh. »Nein! Ich würde mich nie von Irmi scheiden lassen. Wenn sie es will – ich müßte es hinnehmen. Sie hätte jetzt jedes Recht dazu! Aber ich? Von mir aus? Nein! Ich liebe meine Frau. Außerdem: Was bräche dann alles auseinander, außer der Ehe!«
»Aber ich liebe dich! Ich kenne mich selbst nicht mehr! Mein ganzes Leben ist verändert durch dich, in diesen paar Tagen! Ich denke mit deinen Gedanken, ich sehe die Welt mit deinen Augen, ich weiß schon, wie du den Kopf hältst beim Zuhören, wie du reagierst, wenn du verlegen bist, weiß, daß du leise vor dich hinpfeifst, wenn du erregt bist oder dich etwas belastet, ich kenne deine Lieblingsfarbe und weiß, daß du regungslos dasitzen kannst, wenn ein Klavierkonzert von Beethoven oder Tschaikowski gespielt wird … Ich weiß schon so viel von dir, ich bin so ganz in dir … Wann kommst du wieder?«
»In drei Wochen«, versprach er, nur, um sie zu beruhigen. Er löste ihre Arme von seinem Hals und blickte auf die große Uhr in der Halle. Daneben war die Tafel der Flugabfertigung. Die Lämpchen für den Flug nach Köln zuckten. Der letzte Aufruf. »Ich muß gehen«, sagte er. »Das Flugzeug wartet nicht. Mein Gott, ich reiße ein Stück von mir heraus!«
Er küßte sie noch einmal, schob sie dann sanft von sich, ergriff seinen Bordcase und rannte durch die Sperre. Lauf, lauf, lauf, blick nicht zurück … du kehrst sonst um zu ihr, und das große Drama nimmt seinen Anfang. Du weißt, sie steht da und winkt, sie läuft an der Absperrung hin und her, um dich bis zuletzt zu sehen … Sieh nicht zurück, du hättest nicht mehr die Kraft, zum Flugzeug zu gehen. Du mußt nach Köln! Zu Irmi, zu Peter, zu Vanessa Nina, zu deinen Werken, zu deiner Arbeit, zum Riesenerfolg deiner riesigen, nie auslöschbaren Lüge! Du mußt! Du warst immer ein Mensch der Vernunft – das allein hat dich immer gerettet! Rette dich auch jetzt! Sei nur noch Vernunft! Sie ändert nichts daran, daß du die Frau, die hinter dir an der Flugsteigsperre steht, liebst. Bis zum Wahnsinn liebst. Denn alles, was in diesen Tagen in Rom mit Elietta geschehen ist, ist eine Abart von Wahnsinn. Lauf, Junge, lauf! Und blick dich bloß nicht um!
Er ging durch die Paßkontrolle, passierte den Zoll, und sein Herz schlug erst wieder langsamer, als er im Flugzeug saß, auf einem Fensterplatz, von dem aus er hinüberblicken konnte auf die offene Besuchertribüne. Sie war ein breitgezogener Farbfleck, Hunderte von Menschen standen dort. Und sie auch, dachte er. Sie steht dort und wird winken, wenn das Flugzeug anrollt. Aber ich sehe sie nicht aus dieser Entfernung, ihr Winken geht unter im Winken der vielen anderen Arme. Aber ich weiß es, ich weiß, daß sie dort drüben steht und denkt: Ich liebe dich! Ich liebe dich!
Er drehte sich vom Fenster weg. Die Stewardeß verteilte Zeitungen. Er nahm eine, eine englische, die er gar nicht lesen konnte, und starrte hinein. Wie soll das alles werden, dachte er, Rom hat mich auseinandergerissen. Ich bin ein doppelter Mensch geworden. Genau genommen sogar ein dreifacher.
Irmi, ich liebe dich. Elietta, ich liebe dich.
Wann werde ich wahnsinnig?
Er war etwas eingenickt bei dem eintönigen Motorengedröhn, als ihn jemand an der Schulter schüttelte. Er fuhr hoch, starrte in ein etwas aufgedunsenes Gesicht und hatte das Empfinden, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben.
»Ist das möglich?!« sagte der Mann ungeniert. Er setzte sich neben Wegener auf den freien Platz und klopfte ihm auf die Schulter. »Mensch! Peter! Nach so langen Jahren! Und dann noch über den Wolken! Ich gehe zum Pinkeln, sehe dich und denke: Den kennst du doch! Zwar nicht so fett – hahaha – aber immerhin! Und dann, beim Pinkeln, fällt's mir ein: Das kann nur der Peter sein! 3. Kompanie. Baranowitschi. Mensch, du bist doch Peter Hasslick?! Wir haben doch zusammen im Dreck gelegen! Erkennst du mich nicht mehr? Rudi Velbert … Obergefreiter Velbert!
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