Eine glückliche Ehe
anderen: »Schon wieder drei weg! Und das russische Aas gibt keine Medikamente heraus! Die kriegen hier noch alle den Wundbrand!«
Am Abend holten ihn die sowjetischen Sanitäter wieder ab. Zurück in Zimmer 8. Sie legten ihn wieder auf das Stahlrohrbett mit den weißen Bezügen und blinzelten ihm in einer Art wissender Kumpanei zu. Mach's gut, Germanskij. Maria Fedorownas gute Laune kommt auch uns zugute.
Sie kam eine halbe Stunde später, in Uniform, mit Hosen und mit Weichen Juchtenstiefeln. »Wie geht es?« fragte sie. Ein verwundeter Russe, der in der Lazarettküche arbeitete, brachte ein Blechtablett mit Rühreiern und harter Bauernwurst. Dazu einen Kanten Brot. Das typische russische Brot, braungrau, innen noch glitschig, vor kurzem erst gebacken und daher noch warm, duftend und gefährlich für einen ausgehungerten und ausgetrockneten Magen.
»Iß!« sagte sie, setzte sich neben ihn auf die Bettkante und begann ihn zu füttern, als habe er keine Arme mehr. »Gleich kommt Tee.«
Er schluckte tapfer, was sie ihm einlöffelte. Der Tee war heiß, sehr bitter, und er trank ihn in kleinen, vorsichtigen Schlucken. Sie stützte seinen Kopf, beobachtete sein Schlucken und küßte ihn plötzlich auf die Augen.
»Merkst du, wie es guttut?« fragte sie.
»Ja –«
»Was du ißt und trinkst, ziehe ich den anderen ab.«
»Das ist gemein, Maria Fedorowna.«
»Halt den Mund!«
In der Nacht schlief sie bei ihm. Zusammengerollt wie eine Katze, in die Beuge seines Unterleibes gekuschelt, mit kühler, glatter Nacktheit, die er mit seiner Körperwärme auflud. Ein kleiner, glücklicher Mensch, der am Tage den Teufel spielte.
Sie blieben zwei Monate in Orscha.
Die sowjetischen Armeen waren weit nach Westen vorgedrungen, die Rollbahn, diese einzige ausgebaute Straße von Polens Grenze bis Moskau, fast schon ein Symbol, war wieder zu großen Teilen in russischer Hand. Das stärkte die Moral, das war ein Vorbote des endgültigen Sieges. Wohl klammerten sich die ausgebluteten deutschen Divisionen an jeden Meter Boden fest, hielten verzweifelt die schnell ausgebauten, weiter zurückliegenden Stellungen (Frontverkürzung nannte man das mit artistischem Zungenschlag im Führerhauptquartier), aber es war nur eine menschenfressende Verzögerung. Der Zusammenbruch in Rußland war das Fanal vor dem Ende.
Die Schule wurde nicht mehr Umschlagplatz zerfetzter Leiber – sie nahm jetzt die Verwundeten auf, die in den Hauptverbandsplätzen und vorgeschobenen Feldlazaretten bereits soweit versorgt waren, daß man sie hier gesundpflegen konnte. Orscha wurde wieder russische Heimat, der Krieg entfernte sich von der Stadt. Aus Smolensk kamen Lastwagen mit Betten und Wäsche, ein kleines Heer von Frauen begann mit dem Wiederaufbau, räumte Trümmer weg, klopfte Steine, begann zu mauern, legte Leitungen, pflasterte die Straßen. Auch das war eine Demonstration: Hier kommt kein Deutscher mehr hin!
Die Ärztin Maria Fedorowna, zum Kapitän des Sanitätswesens ernannt, strukturierte das Lazarett um. Sie begann damit, die deutschen Verwundeten für den Transport in die Gefangenenlager freizugeben.
»Wir kein Sanatorium!« sagte sie dem deutschen Stabsarzt, der protestierte und darauf hinwies, daß von einhundertfünfundvierzig deutschen Verwundeten, die fast alle in der Turnhalle der Schule lagen und nur notdürftig versorgt wurden, vierundsechzig kaum transportfähig seien. »Sollen wir unsere Mörder mästen?!«
»Sie sind Ärztin, Maria Fedorowna!« entgegnete der Stabsarzt heiser.
»Ich bin Russin!« antwortete sie hart. »Nichts als Russin!«
An einem Sonntag wurden sie auf Lastwagen verladen, zum Bahnhof gefahren und in mit Stroh ausgelegte Viehwaggons geschoben. In der Mitte jedes Waggons stand ein kleiner, runder Eisenofen, dessen langes, gebogenes Rohr zu einem schmalen Fensterschlitz hinausführte.
»Merken Sie was, Wegener?« sagte der Stabsarzt.
Sie gingen den Zug entlang, Wegener an einem Stock, den er sich aus einer Dachlatte selbst geschnitzt hatte. Sein Oberschenkel war gut verheilt, nur eine lange Narbe war zurückgeblieben von der Operation. »Sie sind ein Narbenmensch«, hatte der Stabsarzt später gesagt. »Sie kennen das ja, junger Kollege: Es gibt Menschen, bei denen wächst eine Wunde nicht normal zu, sondern immer als Wulst. Aber wenn wir einmal wieder normale Verhältnisse in Deutschland haben, kann man das bereinigen. Eine kleine Schönheitsoperation!« Er hatte danach gelacht wie über einen Witz. Da lag man
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