Eine glückliche Ehe
auf. Das geht schnell wie das Kaninchenficken.«
Wegener überstand den Vormittag. Er lernte Fachausdrücke, behielt sie zum Teil im Gedächtnis und notierte sie sich später mit den notwendigen Erklärungen.
Nach sechs Wochen diskutierte er bereits mit den anderen Ärzten über einen Hernia inguinalis interna.
Niemand merkte, daß er Schlosser war.
Nur das Skalpell nahm er nie selbst in die Hand. Er hielt die Klammern, tupfte, injizierte, verband. Wechselte die Verbände, saß bei den Sterbenden und hielt ihre erkaltenden Hände.
Drei Jahre lang.
Irmis Paket kam nie in Nowo Nigaisk an. Andere erhielten im Laufe der Jahre Pakete, in großen Abständen, aber anscheinend waren in Irmis Paket sehr gute Sachen gewesen, die ein sowjetischer Kontrolleur besser gebrauchen konnte als dieser Kriegsverbrecher in der fernen Taiga.
Aber ihre Briefe und Karten trafen ein, jeden Monat ein Zeichen der Liebe, der Treue, der Erwartung, des Glaubens an die Zukunft.
»Das Leben normalisiert sich«, schrieb Irmi einmal, 1947 war das. »Nur die Lebensmittel sind so knapp. Was man auf Marken bekommt, ist jämmerlich. Ein Glück, daß Paps Apotheker ist. So bekommen wir manches nebenbei, du verstehst. Aber auch das wird einmal besser werden. Die Hauptsache ist doch, daß Du bald nach Hause kommst.«
Ein neues Foto lag dabei. Irmi Wegener vor einem Blütenbusch im Kölner Stadtwald. Zum erstenmal sah Wegener seine Frau ganz, von oben bis unten. Bis jetzt hatte er nur ihr Gesicht gehabt.
Sie war schlank mit kleinen Brüsten, die sich durch das Sommerfähnchen deutlich durchdrückten. Sie hatte schlanke Beine mit dünnen Fesseln, rehhaft, zerbrechlich, und sie lächelte nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Augen, mit dem ganzen, wunderschönen Körper. Auf ihrem blonden Haar strahlte die Sonne. Wegener hielt das Bild an sein Gesicht … Er roch den Duft des Blütenbusches, ihre Haare, ihre Haut, ihre Weiblichkeit, ihre herrliche Jugend, ihre Sehnsucht nach ihm.
»Mein Gott, wie liebe ich dich«, sagte er mit trockener Kehle. »Ich will dir immer ein guter Mann sein, und Gott bestrafe mich höllisch, wenn es jemals anders werden sollte …«
An einem Januarmorgen 1948, einem vor Frost klirrenden Tag, der alles Leben außerhalb der Baracken erstarren ließ und selbst die Russen von den Wachttürmen trieb, kamen die Barackenältesten von der Kommandantur, zu der man sie bestellt hatte, zurück und brachten Listen mit. Sie lasen Namen vor, und wer genannt war, trat zögernd und mit fragenden Augen in den Mittelpunkt der Baracke.
»Die Klamotten packen und morgen früh bereithalten!« sagten die Barackenältesten. »Kinder, fragt mich nicht. Sie geben keine Antwort, die Iwans. Sie haben uns die Listen gegeben, und wir sollen sie verlesen. Wahrscheinlich werdet ihr verlegt. Es ist ja doch alles Scheiße!«
»Ich habe läuten hören«, sagte der Stabsarzt zu Wegener, der auch auf der Liste stand, »daß man mit Entlassungen beginnt. Nur ein Gerücht, das möchte ich betonen.«
»Entlassen? Zurück nach Deutschland?« stammelte Wegener. »Wirklich zurück? Warum denn ich?«
»Nach welchen Kriterien sie vorgehen, wer weiß das? Bei den Russen ist jede Überraschung möglich, das wissen wir ja. Jedenfalls sind Sie genannt, Hellmuth. Und wenn's in die Heimat geht, gebe ich Ihnen einen Brief an meine Frau mit. Ich beneide Sie. Deutschland …«
Er trat an das Fenster, hauchte die Eisblumen weg, wischte ein Loch, um durchzusehen, überblickte die in den Schnee geduckten Baracken, den Stacheldrahtzaun, den Todesstreifen, die Holzpalisaden und die Wachttürme und begann lautlos zu weinen.
Am 19. Februar 1948 traf Hellmuth Wegener im Durchgangslager Friedland ein. Er kam mit einem Transport von einhundertzwanzig Plennys in einem Sonderwagen, den man in Frankfurt/Oder von dem sowjetischen Zug abgekoppelt hatte. Sie waren quer durch Rußland gefahren, von Sibirien über den Ural nach Moskau. Dort wurden sie untersucht, bekamen zum erstenmal seit vier Jahren ein kräftiges Essen und schlugen sich – unvernünftig wie Kinder zu Weihnachten – die Bäuche so voll, daß dreiundzwanzig Entlassene in Moskau bleiben mußten, wegen akuter Magenerkrankungen.
Auch Wegener schiß drei Tage ununterbrochen, aber er konnte es geheimhalten. Danach war er so schlapp, daß er apathisch im Zug hockte und die letzte Strecke nur schlafend zurücklegte. Ab Frankfurt/Oder aber raffte er sich auf, aß vorsichtig das Brot und die Wurst, die man verteilte,
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